100 Jahre Universität Hamburg
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Die großen Festivitäten und Empfänge sind vorbei, alle Glückwunsch-Reden gehalten und nun? Jetzt haben wir uns als AStA ein bisschen Zeit genommen, die Geschichte der Universität aus studentischer Sicht ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen. In 100 Jahren kann viel passieren, deswegen haben wir uns vier wichtige Stationen der Unigeschichte herausgepickt. Wir möchten uns an dieser Stelle in besonderer Weise bei der Geschichtsstelle der Universität für die Zusammenarbeit und die fachliche Kompetenz bedanken, die wir in Anspruch nehmen konnten.
Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte
Die im Hauptgebäude der Universität beheimatete Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte widmet sich seit ihrer Gründung 2003 als zentrale Einrichtung der Erforschung und Vermittlung von Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, insbesondere der Geschichte der Hamburger Universität.
Das Angebot der von Prof. Dr. Rainer Nicolaysen geleiteten Arbeitsstelle reicht von Auskünften zu einzelnen universitätsgeschichtlichen Themen über die Beratung und Umsetzung wissenschaftlicher Projekte bis hin zu historischen Campusrundgängen und Führungen durch das 2015 eingerichtete Historische Rektorzimmer.
In der Arbeitsstelle befinden sich zudem die Redaktionen der zentralen wissenschaftlichen Publikationsreihen der Universität, der „Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte“ und der „Hamburger Universitätsreden“. Anlässlich des Universitätsjubiläums 2019 entsteht hier aktuell zudem eine vierbändige Universitätsgeschichte.
Die angegliederte Hamburger Bibliothek für Universitätsgeschichte umfasst rund 30.000 gedruckte Medien zur deutschen Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte sowie weitere Sonderbestände und Realia. Darunter z. B. über 40 Ordner mit studentischen Flugblättern seit 1967.
Nähere Auskünfte findet ihr auf der Homepage der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte.
Das Kolonialinstitut und die Gründung der Universität
In diesem Jahr haben auch wir das 100-jährige Bestehen der Universität Hamburg gefeiert. Jetzt wird es Zeit, die Geschichte kritischer zu betrachten und zu schauen, wie es zu dieser Gründung kam.
Schon bevor Hamburg durch die neugewählte Bürgerschaft eine Uni bekommen hatte, gab es verschiedene Einrichtungen in der Stadt, in denen sich die Hamburger Bürger*innen weiterbilden konnten. Dazu zählten Institutionen wie die Hamburger Sternwarte, das Museum für „Völkerkunde“ (das im Übrigen erst 2018 umbenannt wurde; jetzt heißt es Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt), das Physikalische und Chemische Staatslaboratorium und das Botanische Museum. Aber auch das sogenannte Hamburgisches Kolonialinstitut. Was genau hatte es damit auf sich?
Ab dem 19. Jahrhundert und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs hatte Deutschland viele Kolonien. Auch in den deutschen Kolonien, die ohne politische und wirtschaftliche Macht der Willkür der Besatzer*innen ausgesetzt waren, wurden die Einheimischen vertrieben, unterdrückt und getötet. Für die Verwaltung dieser Kolonien hatte der deutsche Staat eine große Nachfrage nach Arbeitskräften, wie zum Beispiel nach Kolonialbeamten. Diese sollten in den Kolonien Verwaltungsaufgaben übernehmen, waren aber auch an der Gewalt und der Unterdrückung gegenüber den Einheimischen beteiligt. Viele Kaufleute forderten bessere Ausbildungsmöglichkeiten für diese Kolonialbeamten und andere für die Kolonien brauchbare Berufsgruppen.
Das Reichskolonialamt suchte deshalb nach einem passenden Ort zur kolonialistischen Ausbildung und Erforschung und entschied sich für Hamburg, da die Stadt weltweit Handel trieb und den größten Hafen im gesamten Deutschen Reich hatte. Dort wurde das Kolonialinstitut 1908 gegründet. Gesetzlich wurde dem Institut vorgeschrieben, alle Kolonialbeamten auf ihren Dienst vorzubereiten. Außerdem sollte es sich mit der Erforschung der Kolonien auseinandersetzen. Das Kolonialinstitut war allerdings nicht die einzige oder erste Hamburger Institution, die sich mit der problematischen Erforschung (potentieller) Kolonien beschäftigte: So finanzierte die bereits 1873 gegründete Geographische Gesellschaft mehrere Expeditionen, deren Ziel die politische und ökonomische Ausbeutung der entsprechenden Länder war.
Die Idee, das Kolonialinstitut in eine Universität zu verwandeln, kam ebenfalls von den Hamburger Kaufleuten. Sie hofften dadurch auf einen Wettbewerbsvorteil: Die Absolventen sollten auch Zugang zu Berufen bekommen, für die man eine akademische Ausbildung benötigte. Die Kaufleute hatten dabei nicht nur Beamte im Blick, sondern auch andere Berufszweige, die dann privat in die Kolonien gingen.
Die Bürgerschaft beschloss in einer ihrer ersten Sitzungen die Gründung der Universität, die auch im Mai 1919 erfolgte. Das Hamburger Hochschulgesetz von 1921 enthielt noch viele Punkte aus dem Gesetz zum Kolonialinstitut. Die Universität wurde also nicht einfach neu gegründet, da das Kolonialinstitut in ihr weiterbestand.
Darüber freute sich Dr. Werner von Melle (Bürgermeister und Unterstützer der Uni) in seiner Rede bei der Eröffnung der Universität etwas zu sehr: „Die Beachtung des Auslandes, und insbesondere der überseeischen Gebiete, und die Verfolgung der Länder und Völker verbindenden Gedanken, die in der Hamburger Wissenschaftspflege stets hervorgetreten sind und dann vor zehn Jahren durch die Errichtung unseres Kolonialinstituts besonders stark und eigenartig zur Geltung gelangten, sie sollen in der Hamburgischen Universität fortgeführt und weiterentwickelt werden.“
Es ist problematisch, dass der Übergang damals so unkritisch gesehen wurde. Eine andere, facettenreichere Auseinandersetzung mit den Gründerfiguren der Universität wäre wünschenswert. Eine solche Auseinandersetzung wurde erstmalig von der 68er-Bewegung versucht. Zu der Zeit wurde auch das alte Universitätsgesetz außer Kraft gesetzt und durch das Neue Hamburger Universitätsgesetz ersetzt, das nun alle Statusgruppen mit einbeziehen sollte.
Und heute? Wie können wir hundert Jahre nach der Gründung der Universität mit deren problematischer Vergangenheit umgehen? Was meint ihr? Wir freuen uns auf interessante, konstruktive Diskussionen mit euch!
Die Universität Hamburg im dritten Reich
Die ‚Hamburgische Universität‘ in den 20er und 30er Jahren – von der Idee einer demokratischen Reformuniversität zur nationalsozialistischen Institution
Die Gründungsgeschichte der ‚Hamburgischen Universität‘ erweckte zunächst den Eindruck einer progressiven Hochschule; als erste Universität, die durch den Beschluss eines demokratisch gewählten Parlamentes gegründet wurde, galt sie als Reformuniversität, die der großen Arbeiterschaft in Hamburg durch eine universitäre Bildung der Aufstieg in die neuen demokratischen Institutionen ermöglicht werden konnte und tatsächlich war der Anteil an Frauen und Studierenden aus Arbeiterfamilien deutlich höher als im Reichsdurchschnitt, außerdem gab es vergleichsweise viele jüdische Professoren. So entstand bei Zeitgenossen der Eindruck, die Hamburgische Universität habe sich von anderen Hochschulen in den 20er und 30er Jahren unterschieden, indem sie als eine ‚liberale Insel‘ den Einflüssen und Zwängen der NS-Ideologie trotzte. Tatsächlich unterschieden sich die Gesinnungen der Hamburger Studierenden und Professoren jedoch nicht wirklich von denen im übrigen Staatsgebiet, in Anbetracht der demokratischen Universitätsgründung und der liberalen Ausgangslage erscheint die Nazifizierung der Uni Hamburg in den 20er und 30er Jahren sogar besonders dramatisch. Ermöglicht wurde dies einerseits durch das zunehmend aggressiv Engagement nationalsozialistischer Studierender und andererseits durch die massive Passivität der Universitätsleitung und der Professoren.
Die Rolle der Studierenden
Trotz der oben erwähnten Demografie an der Hamburgischen Universität herrschten auch dort elitäre, nationalistische und antisemitische Einstellungen vor, denn selbst der vergleichsweise hohe Anteil an Studierenden aus Arbeiterfamilien, die sich von einem universitären Studium soziale Aufstiegsmöglichkeiten erhofften, orientierte sich in seinem Verhalten an den großbürgerlich geprägten Strukturen der Universität des Kaiserreichs . So wurden bereits im ersten Semester an der neu gegründeten Universität studentische Flugblätter verteilt, die zum Boykott jüdischer Professoren aufriefen. Nachdem im WiSe 1919/20 dann die erste AStA-Wahl stattfand, forderte der AStA, jüdischen Studierenden zukünftig das Wahlrecht bei AStA-Wahlen zu entziehen. Die Bürgerschaft unter der Regierungskoalition von SPD und DDP verabschiedete jedoch ein Hochschulgesetz, das eine solche Ungleichbehandlung nicht zuließ und als Reaktion darauf trat der AStA geschlossen zurück. 1919 wurde außerdem die Deutsche Studentenschaft (DSt) gegründet, ein Dachverband aller AStAs im deutschsprachigen Raum. Auch hier waren die nationalistisch-völkischen Studierenden in der Mehrheit und so wurde der DSt schnell ein rechtsgerichteter Verein, in dem bereits in den frühen 20er Jahren Stimmen laut wurden, die den Ausschluss jüdischer Studierender aus dem DSt forderten – mit Unterstützung der Hamburger Abgesandten.
Es gab jedoch auch eine Opposition innerhalb der Universität: Sozialisten, Demokraten, Juden, Katholiken und Pazifisten schlossen sich zum Deutschen Studentenbund zusammen und traten gemeinsam zu AStA-Wahlen an, wo sie in den Jahren 1922, 1923, 1927 und 1928 jeweils 5 von 12 Sitzen erreichten und somit Entscheidungen der rechtsgerichteten AStA-Mehrheit blockieren konnten, denn damals mussten alle AStA-Entscheidungen mit einer Zweidrittel-Mehrheit beschlossen werden. Doch bei der AStA-Wahl 1929 verlor der Deutsche Studentenbund einen Sitz und kann nun nicht mehr blockieren und 1929/30 spaltet er sich sogar in drei Gruppen auf und verliert so vollständig an Bedeutung im AStA. Somit hatten die rechts-nationalistischen Gruppen keine ernstzunehmende Opposition mehr und konnten ihre Entscheidungen ungestört fällen.
1926 wird außerdem der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) gegründet, dessen Aufgabe es ist, die intellektuelle Elite an der Universität für die NS-Ideologie zu gewinnen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten – die primär mit massiver Unfähigkeit in der internen Organisation zutun hatten - wird der NSDStB immer einflussreicher und beliebter. was sich einerseits auf exzessive (und kostspielige!) Wahlwerbung zurückführen lässt, andererseits auf ein aktivistisches Image; im Gegensatz zu anderen politischen Studierendengruppen (wie etwa den Sozialisten und Demokraten) standen hier nicht theoretische Debatten im Mittelpunkt, sondern ein gemeinsamer Aktionismus, bei dem man niedrigschwellig mitmachen konnte. Außerdem wirkte der NSDStB bald attraktiver als die bis dahin sehr einflussreichen Burschenschaften, da die Mitglieder des NSDStB jünger und dynamischer wirkten und nicht wie die Verbindungen von alten Alumni gesteuert wurden. Außerdem fielen die Burschenschaften durch eine Korruptionsaffäre in Misskredit, was dem NSDStB ebenfalls zugute kam. Während seine Aktivitäten sich zunächst noch auf vereinzelte Treffen in kleiner Runde beschränken, wurden später massiv Wahlkampf und Propaganda betrieben, in hoher Frequenz provokante Aushänge produziert und zu Diskussionsrunden und Vorlesungen bekannter Nazis eingeladen, wodurch der NSDStB zahlreiche neue Anhänger*innen generieren konnte. Außerdem wurden Arbeitsdienste eingerichtet, in denen Studierende und Arbeiter sich gemeinsam in körperlicher Arbeit übten, über Politik diskutierten und sog. Wehrsport praktizierten – eine Art Kaderschmiede für spätere NS-Soldaten. Anfang der 30er Jahre kamen zu den Aktivitäten des NSDStB auch gezielte Gewalttaten; kommunistische, sozialistische und jüdische Studierende wurden überfallen und zusammengeschlagen und auf einer NSDStB-Veranstaltungen wurden unliebsame Fragen von demokratischen Studierenden sogar mithilfe von SA-Truppen unterbunden.
Am 11. April 1933 forderte der Leiter des NSDStB schließlich vom zuständigen Senator die Entlassung jüdischer und politisch unliebsamer Professoren, zunächst sechs namentlich genannte, anschließend sollten die übrigen schrittweise ersetzt werden. Sollte dem nicht nachgekommen werden, könnten gewaltsame Proteste nicht verhindert werden. Diese Drohung war angesichts der immer größeren Popularität und Mitgliederzahlen des NSDStB durchaus ernstzunehmen und der Universitätssenat akzeptierte die Forderungen ohne Protest oder Kommentar und auch in der Professorenschaft zeigte sich keinerlei Solidarität – zwar schlug der damalige Rektor Leo Raape vor, gegen die Entlassungen zu protestieren, da ihn dabei niemand unterstützen wollte, ließ er es jedoch sein.
Die Rolle der Professoren und der Universitätsleitung
Insgesamt kommt der Universitätsleitung, den Professoren und der Hochschulbehörde der Bürgerschaft eine ebenso große Rolle bei der Radikalisierung der Universität zu wie den nationalsozialistischen Studierenden. Während letztere den Aufstieg der NS-Ideologie aktiv vorantrieben, ermöglichten erstere ihn überhaupt erst durch ihre Passivität. Für diese Passivität und Billigung gab es mehrere Gründe.
Zum einen waren die Universitätsleitung und Professoren keineswegs so progressiv und reformorientiert eingestellt wie die SPD-Bürgerschaft es sich von der neuen Universität gewünscht hätte. Die Mehrheit der Professoren war konservativ-nationalistisch, fühlten sich den Werten des Kaiserreiches verpflichtet und waren der Demokratie gegenüber grundsätzlich skeptisch bis ablehnend eingestellt, da sie sich in ihrem Status bedroht sahen. Für viele kam es einer Beleidigung gleich, als Universitätsprofessor einem demokratischen Gremium wie der Hochschulbehörde Rechenschaft schuldig zu sein. Aus diesem Selbstverständnis als gesellschaftliche Elite entsprang auch die Einführung der Talare im Jahr 1927. Auch Antisemitismus war unter den Professoren stark verbreitet. Die Aktionen der Studierenden stießen somit von Anfang an bei vielen Professoren auf Sympathie.
Zudem schätzten die Professoren die Mitglieder des NSDStB falsch ein; sie hielten sie für gemäßigte und intellektuelle Kräfte innerhalb der NSDAP und hofften, dass sie einen entsprechenden Einfluss auf die Partei haben könnten, die der elitären Professorenschaft größtenteils zu grobschlächtig und radikal erschien. Als sich später herausstellte, dass es sich hierbei um eine eklatante Fehleinschätzung gehandelt hatte, konnten die Professoren sich das standesgemäß nicht eingestehen und zurückrudern.
Andere Professoren waren mit den Entwicklungen zwar nicht einverstanden, fürchteten aber, selbst zur Angriffsfläche des NSDStB zu werden, wenn sie sich dagegen positionierten. Außerdem wollte die Universitätsleitung unbedingt einen Aufruhr an der Uni vermeiden, Ankündigungen des NSDStB, bei Gegenwehr der Universitätsleitung Proteste und auch gewaltsame Ausschreitungen zu organisieren, hatten also eine entsprechende Wirkung. 1931 wurde dann mit Albert Wigand ein großer Sympathisant der NS-Ideologie Universitätsrektor, der Vorlesungen über Militärwesen an der Uni einführte, ebenso wie geheime Offizierstrainings. Das stellte einen Bruch des Versailler Vertrages dar, der festlegte, dass Bildungseinrichtungen sich nicht mit militärischen Themen befassen dürfen, doch als dies in Flugblättern sozialistischer Studierender aufgedeckt wurde, kam nicht etwa Wigand in Schwierigkeiten, sondern die Studierenden; sie wurden wegen ‚Verrat von Militärgeheimnissen‘ verhaftet. Außerdem wurden 1933 alle kommunistischen, marxistischen, sozialdemokratischen und pazifistischen Organisationen an der Universität verboten.
Nachdem die NSDAP an der Macht war, befürchteten schließlich sowohl die NSDStB-Mitglieder als auch die Professoren, dass das NS-Regime die Uni vollständig schließen könnte, wenn es ihr nicht gelingt, ihre Mitglieder in der Breite zu indoktrinieren. Somit wurde seit 1933 nicht mehr gezögert, jegliche Maßnahme umzusetzen, und in den folgenden Jahren erfolgte sukzessive die Entlassung sämtlicher jüdischer und politisch andersgesinnter Professoren, ein Promotionsverbot für jüdische Studierende, die Abschaffung des AStA zugunsten des Führerprinzips, eine Obergrenze für ‚nicht-arische‘ Studierende, die Forderung nach einem Gesundheitszertifikat bei der Immatrikulation und vieles mehr. Spätestens 1934, als der Nationalsozialist Adolf Rein zum Rektor wurde, war die Universität vollständig der NS-Ideologie zum Opfer gefallen, ohne dass sich von Seiten der Professoren jemand dagegen gewehrt hätte.
Vereinzelter Widerstand: Die ‚Hamburger Weiße Rose‘
Nur sehr vereinzelt wurde sich gegen die immer einflussreichere NS-Ideologie zur Wehr gesetzt. Mehrere Freundes- und Familienkreise trafen sich etwa seit Mitte der 30er Jahre, um gemeinsam politische Diskussionen zu führen, verbotene Musik zu hören und verbotene Literatur zu lesen, unter ihnen auch einige Studierende. Insgesamt gehörten ca. 50 Personen diesen Gruppen an, die Gruppen waren untereinander aber nur teilweise vernetzt und hatten unterschiedliche Ausrichtungen. Sie wurden von der Forschung retrospektiv in Anlehnung an die Widerstandsgruppe Weiße Rose aus München unter dem Begriff Hamburger Weiße Rose zusammengefasst, sie selbst verwendeten diesen Namen allerdings nicht.
Wichtige Zentren der Gruppen waren die drei Hamburger Buchhandlungen Hamburger Bücherstuben an den Colonnaden, Agentur des Rauhen Hauses am Jungfernstieg und dem Buchladen Kloss in der Bergstraße, in denen unter der Hand mit verbotenen Büchern gehandelt wurde und Treffen abgehalten wurden. Seit 1942 wurden durch Kontakte zur Weißen Rose in München deren Flugblätter auch nach Hamburg geschmuggelt und hier verteilt. Außerdem wurde anhand eines selbstgebauten Stempels auf den Deutschen Freiheitssender, der von emigrierten Deutschen aus dem Exil betrieben wurde, aufmerksam gemacht, zusammen mit dem Aufruf „Nieder mit dem Krieg! Stürzt Hitler!“. Nach der spektakulären Flugblattaktion am 18. Februar 1943 im Lichthof der Universität München, die mit der Festnahme von Hans und Sophie Scholl endete, beschlossen auch Teile der Hamburger Gruppen, stärker aktiv zu werden und mit gezielten Anschlägen die öffentliche Ordnung und Ruhe zu stören – diese wurden jedoch nie umgesetzt und durch einen eingeschleusten Gestapo-Spitzel wurden 1943 in einer Verhaftungswelle rund 30 Mitglieder der Hamburger Gruppen festgenommen, von denen 8 hingerichtet wurden oder in der Haft starben. An sie erinnert seit 1971 eine Gedenktafel im Audimax.
Aufarbeitung der NS-Zeit an der Universität
Nach dem 2. Weltkrieg wurde die NS-Geschichte der Universität lange Zeit totgeschwiegen. Die erste Aufarbeitung fand erst 1969 (!) von studentischer Seite statt, als der AStA zum 50. Universitätsjubiläum eine Gegenfestschrift herausgab (siehe Literaturliste unten). Von Seite der Universität wurde sich dem Thema sogar erst seit den 80er Jahren gewidmet.
Quellen:
Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte, Universität Hamburg:
https://www.uni-hamburg.de/einrichtungen/weitere-einrichtungen/arbeitsstelle-fuer-universitaetsgeschichte/geschichte.html
Giles, Geoffrey J.: Students and National Socialism in Germany. Princeton: Princeton University Press, 1985.
Petry, Christian: Studenten aufs Schafott. Die Weiße Rose und ihr Scheitern. München: Piper, 1968.
Krause, Eckart (Hrsg.): Hochschulalltag im „Dritten Reich“. Band 1-3. Berlin: Reimer, 1991.
"Unter den Talaren..." Die Rolle der Universität für die 68er
Für das Phänomen „1968“ in der Bundesrepublik spielte auch die Universität Hamburg eine bedeutende und ganz spezifische Rolle. Um das Verhältnis zwischen den verschiedenen Interessengruppen der Hochschule knapp fünf Jahrzehnte nach ihrer Gründung zu verstehen, bot die Feier zum Rektorwechsel im Jahr 1967 eine hervorragende Gelegenheit. Zu den 1.700 geladenen Gästen gehörten neben Zivilpolizisten und Ehrengästen wie Senatoren und Altbürgermeistern nicht einmal zwei Prozent der damals etwa 20.000 Studierenden. Doch bereits die einseitige Ankündigung des AStA, die Feier für eine überfällige Fragestunde zu ungelösten Problemen an der Universität zu nutzen, deutete an, dass die Festivitäten mit den althergebrachten Traditionen brechen würden.
Schon als die Professorenschaft, angeführt vom weichenden Rektor Karl-Heinz Schäfer und seinem designierten Nachfolger Werner Ehrlicher, in ihren knöchellangen Talaren mit den eigenartig anmutenden weiten Halskrausen in den Saal einliefen, kam es zum Eklat. Die beiden ehemaligen AStA-Vorsitzenden Detlev Albers und Gert Hinnerk Behlmer setzten sich vor die Prozession und entrollten ungestört ein am Vorabend präpariertes Transparent mit der inzwischen fest mit der Studierendenbewegung verbundenen Parole „Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren“. Eine klare Anspielung auf die überkommenen autoritären Strukturen der Ordinarienuniversität, in der lediglich der Professorenschaft das Privileg zukam, Einfluss auf die Entwicklung der Hochschule zu nehmen.
Studentische Kulturveranstaltungen wurden willkürlich verboten
Auch wenn es zu diesem Zeitpunkt keine*r der Anwesenden bewusst gewesen sein dürfte, war bereits der Stoff des Transparents symbolisch aufgeladen. Das schwarze Stück Molton gehörte zu einem Stück Trauerflor, das bei der Trauerfeier zu Ehren Benno Ohnesorgs, der kurz zuvor im Kontext der Proteste gegen den Schah-Besuch in Berlin von einem Polizisten ermordet wurde, zum Einsatz kam. Auch an der Hamburger Universität hatten Studierende eine Gedenkveranstaltung ausgerichtet, die für die Hochschulleitung keinen ausreichenden Anlass geboten hatte, Lehrveranstaltung ausfallen zu lassen, geschweige denn, selbst Präsenz zu zeigen. Nur eine von vielen Episoden, die zeigte, wie wenig Verständnis die Ordinarien in den vergangenen Jahren für die Lebenswelt der Studierenden hatten. Studentische Kulturveranstaltungen wurden willkürlich verboten, die Thematisierung des Vietnamkriegs unterbunden und in den universitären Gremien stießen Studierende mit legitimen Anliegen zu drängenden Fragen der Hochschulentwicklung auf taube Ohren.
Die Verantwortlichen während der Rektorübergabe entschieden sich so auch nach der „Muff-Aktion“ für ein Festhalten am üblichen Ablauf. Zunächst bilanzierte Schäfer seine Amtszeit, bevor der damalige AStA Vorsitzende Björn Pätzoldt die Möglichkeit bekam, seine Rede für die Aufzählung eines detaillierten Mängelkatalogs über die Situation der Lehre zu nutzen. Der Umstand, dass der Vortrag des designierten Rektors Ehrlicher über die wirtschaftliche Rezession von 1966/67 noch anstand, sicherten ihm über die Aufmerksamkeit der Pressevertreter*innen hinaus auch das Gehör der Professorenschaft und der Ehrengäste. Die Dringlichkeit der Anliegen des Studierendenvertreters zeigte sich im medialen Echo, noch ausführlicher als das Hamburger Abendblatt druckte die Frankfurter Rundschau große Auszüge seiner Rede ab.
Die "Spuler"-Affäre
Nach Ende des offiziellen Ablaufs kam es dann auch zur angekündigten Aussprache über die Situation an der Uni Hamburg, jedoch lediglich unter studentischer Beteiligung. Der Rest des Publikums zog den Sektempfang im Foyer vor. Beim Auszug der Ordinarien kam es zudem zu einem weiteren sehr bedeutsamen und vielsagenden Vorfall: Der Orientalist Bertold Spuler rief den Studierenden zu, sie gehörten alle ins KZ. Hierin zeigt sich eine weitere auch aktuell viel diskutierte Dimension der „Muff-Aktion“. Nach eigener Aussage bei einer Veranstaltung zum 50sten Jahrestag der Aktion änderte Behlmer noch kurzfristig den „Muff“-Spruch von 100 Jahren zu den berühmt gewordenen „1000 Jahren“. Eine vermeintliche Anspielung auf das „1000-jährige Reich“, die er in seiner persönlichen Beschäftigung mit der nicht aufgearbeiteten NS-Vergangenheit der Universität, der Stadt und der Republik begründete.
Wie richtungsweisend und treffend Behlmers Einschätzung war, zeigte sich im fragwürdigen Umgang mit der „Spuler“-Affäre, dessen 1929 beginnende NS-Karriere nur symbolische Konsequenzen zur Folge hatte und mit jedem weiteren Schritt der nur langsam einsetzenden Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Dennoch dürfte die Konfrontation der (Groß-)Eltern-Generation mit ihrer Rolle im Dritten Reich als Motiv der „68er“-Bewegung in diesem Kontext eher retrospektiv hinzugefügt worden sein. In den Reaktionen des Akademischen Senats oder des AStA auf die Ereignisse während der Rektorübergabe bleibt diese Dimension unerwähnt und auch in der Presse wurde über „Muff“-Aktion und „Spuler“-Affäre meist nebeneinander berichtet, ohne diese in einen direkten Zusammenhang zu setzen. So war es die unüberlegte Offenbarung des vormaligen SA- und NSDAP-Mitglieds, die die Aufmerksamkeit auf dieses drängende Thema lenkte.
Folgen der Muff-Aktion: Das neue Hochschulgesetz
Nach bekanntem Muster versuchte die Leitung der Hochschule nach den Ereignissen zunächst den Protest als aus Berlin ferngesteuerte Aktion einer radikalen Minderheit darzustellen. Diese Taktik erwies sich jedoch schnell als wenig erfolgsversprechend. Die Forderungen der Studierenden waren nicht neu und wurden seit langem auf ordentlichem Wege an die Universität herangetragen und auch von der Presse für legitim befunden. Detlev Albers hatte sich zudem bereits im Vorfeld in den innerparteilichen Debatten der SPD über ein Universitätengesetz mit seiner Schrift „Demokratisierung der Universität“ hervorgetan, worin er unter anderem die später verwirklichte „Drittel-Parität“ skizzierte. Auch der ehemalige Bundeswehr-Offizier Gert Hinnerk Behlmer war nicht durch radikale Ablehnung von Hierarchien in Erscheinung getreten.
Ebenso legen die Beschlüsse einer studentischen Vollversammlung nahe, dass auch die Allgemeinheit der Studierenden nicht unbedingt radikal eingestellt war und die Ziele der „Muff“-Aktion teilten. Sie stimmte einerseits gegen eine Absetzung des neuen Rektors Ehrlicher und bestätigten andererseits fast einstimmig den aktuellen AStA-Vorsitz. Sehr treffend charakterisierte die Vorgängerin von Björn Pätzoldt als AStA Vorsitzender, Helga Kutz-Bauer, die Phase rückblickend als „spezifisch pragmatische Variante der Studentenbewegung“ in Hamburg. Zudem kann sie auch als erfolgreich beschrieben werden: Am 23.04.1969 beschloss die Hamburger Bürgerschaft das erste Hochschulreformgesetz der Bundesrepublik und läutete damit den Beginn der „Gruppenuniversität“ ein. Erstmals bekamen neben der Professorenschaft auch der wissenschaftliche Mittelbau und die Studierenden Mitbestimmungsrechte bei der Entwicklung der Universität zugesprochen.
Reform zeigte schnell erste Wirkungen
Die Reform zeigte schnell Wirkung: Der erste nach neuem Gesetz gewählte Universitätspräsident war kein Professor. Gegen fast alle professoralen Stimmen setzte sich der wissenschaftliche Assistent Peter Fischer-Appelt bei der Wahl durch. Ein Beleg für den Demokratiezuwachs an der Hamburger Universität mit Vorbildcharakter für die Republik, der so ohne die bildungspolitische Expertise studentischer Vertreteri*nnen aber auch ohne den gut inszenierten und medial aufgegriffenen Tabu-Bruch nicht möglich gewesen wäre. Auf die Unterstützung des Allgemeinen Studierendenausschuss konnte Fischer-Appelt jedoch zunächst nicht hoffen. Einhergehend mit der zunehmend radikalisierten Studierendenschaft amtierte inzwischen ein weiter nach links gerückter AStA, dem die Errungenschaften des Reformgesetzes nicht weit genug gingen.
Weiterführende Infos und die benutzen Quellen:
Nicolaysen, Rainer: "Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren", Ein Hamburger Studentenprotest trifft den Nerv der Ordinarienuniversität" in: 19 Tage Hamburg, München 2012.
Kraushaar, Wolfgang: 1968 als Mythos, Chiffre und Zäsur, Hamburg 2000.
Kutz-Bauer, Helga: "Was wollen Sie denn hier?" in: 1968 in Hamburg, Mitglieder des Vereins für Hamburgische Geschichte erinnern sich, Norderstedt 2008.
„Das Tuch hatte ich in meinem Jackett versteckt…“, Hamburger Abendblatt, 8.5.2008, S. 3.
Podiumsdiskussion zu "Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren" am 10.11.2017: https://lecture2go.uni-hamburg.de/l2go/-/get/v/22226
Bildungsstreik 2009
Im Juni 2009 demonstrierten in Hamburg rund 15.000 Menschen, überwiegend Schüler*innen und Studierende, im Rahmen des bundesweiten Bildungsstreiks. In der gesamten Republik wurden eine Woche lang Universitäten und Schulen aus Protest gegen die unhaltbare Bildungssituation bestreikt, an den dezentralen Großdemonstrationen beteiligten sich insgesamt etwa 85.000 Menschen, während das Streik-Bündnis von insgesamt über 200.000 Beteiligten an den vielfältigen Aktionen ausgeht. Die Gründe für den Protest ergaben sich aus der Entwicklung des gesamten Bildungssystems und stellten den Bildungsstreik damit in eine Reihe mit den Protestbewegungen der Jahre 1988 und 1997.
Anlass waren nicht einzelne Maßnahmen wie beispielsweise die Proteste gegen Studiengebühren 2003, sondern eine von breiten Teilen der Bevölkerung empfundene allgemeine Bildungsmisere. Schon in den 1990er Jahren war die materielle Absicherung ihrer Hochschulbildung eine große Herausforderung für die Mehrzahl der Studierenden, für weniger privilegierte Gruppen gar ein unüberwindbares Hindernis. Mit der Jahrtausendwende sollte sich diese Problematik noch mit dem sich ausbreitenden Konzept der „unternehmerischen Hochschule“ verstärken. Bereits in der Schule erhöhte sich das Lerntempo massiv mit der vielfachen Verkürzung der Schulzeit auf zwölf Jahre. An den Universitäten sorgte die Einführung des Bachelor-Abschlusses für weiteren Zeitdruck.
Ein unzureichendes BAföG und vor allem Studiengebühren machten jungen Menschen zudem unweigerlich klar, dass sie Bildung als Investition zu begreifen hätten, die sich im späteren Berufsleben auszahlen muss. Im Kontext der seit 2003 einsetzenden „Hartz-Reformen“, die Abstiegsängste und Unsicherheit schürten, entstand eine beängstigende Situation, die gleichermaßen Schüler*innen und Studierende mit Unterstützung zahlreicher Verbände und Gewerkschaften auf die Straße trieb. Hierin unterschied sich der Bildungsstreik vom überwiegend studentisch getragenen UNiMUT- und Lucky Streik 1988 bzw. 1997. Ebenso waren die vorvergangenen Streiks eher spontan entstanden, während dem Bildungsstreik eine lange Planungsphase vorhergegangen war. Ebenso neu war die Begrenzung des Streiks auf eine Woche, womit das Bündnis den Entwicklungen des Bildungssystems Rechnung trug, gegen die es protestierte.
An der Hamburger Universität ergänzten die linken Gruppierungen, die den Streik an der Hochschule trugen, den bunten Forderungskatalog um eine weiteres Anliegen: Seit längerem war die amtierende Universitätspräsidentin „Raketen-Moni“ Auweter-Kurtz wegen ihres neoliberalen Modernisierungskurses und ihrem autoritären Auftreten in Bedrängnis geraten. 2007 hatte sie einer Dozentin den Lehrauftrag entzogen, nachdem diese sich öffentlich kritisch über die Arbeitsbedingungen der Universität geäußert hatte, und hatte mit einem „Maulkorberlass“ reagiert. 120 Professor*innen und noch mehr wissenschaftliche Mitarbeiter*innen hatten sich bis zum Bildungsstreik für ihre Absetzung ausgesprochen. Der damalige AStA-Vorsitzende Severin Pabsch hingegen blieb optimistisch und diagnostizierte lediglich Probleme in der Kommunikation, die Auweter-Kurtz überwinden könne. Wenige Wochen später musste sie jedoch zurücktreten.
Auch abseits der Rücktrittsforderung beurteilte der seit 2006 meist aus Juso und Liberaler Hochschulgruppe sowie einiger Fakultätslisten gebildete AStA die Streikforderungen als „plakativ“ und wenig kostruktiv. Die Anliegen des Bündnisses repräsentierten nicht die Mehrheit der Studierenden und so engagierte sich der damalige AStA vornehmlich als Streikbecher.
Außerhalb der Hochschulpolitik wurde die Themensetzung der Streikenden (kurz vor der Bundestagswahl 2009) von Medien und Parteien allerdings bereitwillig aufgenommen. Lediglich die CDU und ihre Bundeswissenschaftsministerin Annette Schavan übten deutliche Kritik an den „gestrigen“ Protesten. Doch auch wenn vor allem Grüne und SPD sich hinter viele Forderungen stellten und Kultusminiter*innen- und Hochschulretor*innenkonferenz Verständnis signalisierten, blieb es in der Konsequenz lediglich bei Anpassungen der Reformen in gymnasialer Oberstufe und Hochschulwesen. Vor dem Hintergrund der ebenfalls 2009 eingeführten Schuldenbremse, die höhere öffentliche Bildungsausgaben weitgehend verhinderte, wurde eine grundlegend Neuausrichtung des Bildungssystem jedoch nie in angestoßen.
Weiterführende Infos und die benutzen Quellen:
Hamburger Bibliothek für Universitätsgeschichte:
Streiknews Bildungsstreik Hamburg (1-3), Juni 2009.
taz-nord, Bildungsstreik im ganzen Norden, 15.06.2009.
Hamburger Abendblatt, Studenten blockieren Eingänge der Universität, 16.06.2009.
Welt Hamburg, Studenten und Schüler ziehen zum Rathaus, 17.06.2009.
Himpele, Klemens: Vom Bildungsstreik zur Bewegung? In: Blätter für deutsche und internationale Politik (8), 2009.