Offener Brief zum Koalitionsvertrag von SPD und Grünen
28. April 2025
Sehr geehrte Vertreter*innen und Basismitglieder der SPD Hamburg und der Grünen Hamburg,
in der Vergangenheit wurden viele Argumente für ein angemessenes Studium damit zurückgewiesen, dass dafür die Gelder zu knapp seien. Dieser Druck ist häufig selbst geschaffen, da vor einer gerechteren Steuerpolitik zurückgeschreckt wurde. Durch die auf Bundesebene beschlossene Schuldenbremse wird der Druck auf das eigene Handeln sogar noch verstärkt. Selbst als dann auf Bundesebene „Sondervermögen“ beschlossen wurden, kamen soziale Aspekte wie Bildung viel zu kurz. So scheint es jetzt auch in Hamburg. Es wird ein weiter so proklamiert, statt auf deutliche Verbesserungen zu zielen.
Wenn der Koalitionsvertrag von "unseren sechs staatlichen sowie den privaten Hochschulen“ spricht, leitet dies mit einem schlechten Vorzeichen ein, da offensichtlich 4 der 10 staatlichen Hochschulen komplett vergessen wurden. Vielleicht wird Hochschulbildung einfach nicht als relevant gesehen, wenn sie wie die Berufliche Hochschule Hamburg der Schulbehörde oder wie die Norddeutsche Akademie für
Finanzen und Steuerrecht Hamburg der Finanzbehörde untergeordnet sind. Damit die Studierenden nicht vergessen werden, möchten wir hier einige Kritik und Forderungen äußern, für die wir auch während der weiteren Legislatur eintreten werden. Wir erwarten das Gleiche von Ihnen.
Wohnen ist ein Menschenrecht — auch für Studierende
SPD und Grüne erkennen den Bedarf an sozialverträglichem studentischem Wohnen an. Das Zwischenziel, 3000 neue Wohnheimplätze bis 2030 zu schaffen (2000 davon waren schon vorher geplant) begrüßen wir. Wer die Zeithorizonte bei Neubauvorhaben kennt, weiß aber, dass zwischen dem Finden von geeigneten Flächen über die Planung und Autorisierung bis hin zum Bau selbst mehrere Jahre vergehen werden. Deswegen muss es sofort einen konkreten und von der Stadt stark unterstützten Plan geben, um dieses Versprechen nicht zu brechen. Ebenfalls werden signifikante finanzielle Zuschüsse nötig sein, da das Studierendenwerk diese Erweiterung zu bezahlbaren Mieten nicht wie üblich selbst oder kreditfinanziert finanzieren können wird. Bei den Plänen zu 2030 darf es aber nicht bleiben. Um das starke Ziel der Wohnheimplätze für 15% der Studierenden (18.000 Plätze) zu erreichen, braucht es schon jetzt Pläne bis 2035 und 2040, um die mehrjährigen Bauprozesse zu antizipieren.
Bezahlbare Mensen brauchen klare Ziele!
Eine konkrete Zusage zur Weiterfinanzierung oder gar Aufstockung des Zuschusses an das Studierendenwerk fehlt. Die Erhöhung der Finanzzuschüsse des Studierendenwerks von 2024, die vor allem über Beiträge der Studierenden finanziert wurde, erfüllt noch immer nicht die bestehenden Bedarfe. Es braucht dringend eine stärkere Finanzierung und konkrete Ziele zu niedrigen Beitragshöhen und Mensapreisen. Diese sind finden sich leider nicht im Koalitionsvertrag wieder, obwohl sie doch in den Programmen beider Parteien gefordert wurden – ein klares Rückschrittssignal in Zeiten steigender Mieten und Inflation. Wird sich hier gegenseitig oder sich selbst heruntergehandelt?
BAföG — "Die Entscheidung für ein Studium darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen."
Zum BAföG werden zwar Wohnkostenpauschale und Altersgrenzen erwähnt — jedoch nur mit vorsichtigem Verweis auf den Bund. Die Hamburger Regierung darf sich dabei nicht einfach auf die Pläne der Bundesebene verlassen, das BAföG erst 2027 und 2028 anzupassen. Der Plan der Wohnkostenpauschale ist ebenfalls ungenügend, da diese mit 440€ jetzt schon deutlich unter der üblichen Miete eines WG-Zimmers in Hamburg von 620€ liegt. Die finanzielle Situation Studierender ist schon jetzt prekär und kann nicht weitere zweieinhalb Jahre in Kauf genommen werden - gerade hinsichtlich weiterer inflationsbedingter Steigerungen der Lebensunterhaltskosten. Es braucht einen klaren politischen Willen, die Änderung sofort und auf angemessener Höhe voranzutreiben. Dazu gehört auch der Einsatz für ein wichtiges elternunabhängiges oder gar rückzahlungsfreies BAföG, wie es im Wahlkampf gefordert wurde, aber von dem im Koalitionsvertrag jede Spur fehlt.
Auch Studiengebühren müssen bei der Frage der Studienfinanzierung mitgedacht werden. Wenn SPD und Grüne sich zurecht gegen diese aussprechen, vergessen sie allerdings die Kosten der Semesterbeiträge, die vor allem in Form der
Verwaltungskostenbeiträge praktisch identisch sind. Somit wird die Finanzierung der Hochschulen mal wieder auf Studierende abgewälzt.
Kostenlose Bildungstickets für Schüler*innen, Auszubildende und Studierende
"Azubiticket, Semesterticket und Sozialrabatt werden fortgeführt und keine Preissteigerungen erfahren, die über die Anpassungen des Deutschlandtickets hinausgehen". Das klingt erstmal positiv. Aber der ersten Erhöhung, die Studierende im Oktober trifft, wird nicht entgegengewirkt. Auch ein Blick in den Koalitionsvertrag, den SPD und CDU/CSU für die Bundesregierung vorgelegt haben, stimmt kurz optimistisch, denn das Deutschlandticket soll über das Jahr 2025 hinaus bestehen bleiben. Die Preisstabilität jedoch ist lediglich bis zum Jahr 2028 gesichert. Danach ist wieder mit
Preissteigerungen zu rechnen, die sich sodann auch auf das
Deutschlandsemesterticket übertragen, dessen Preis zu 60 % an das Deutschlandticket gekoppelt ist. Dass das kostenlose Schüler*innenticket auf so große Nachfrage gestoßen ist, finden wir erfreulich. Besonders in Hinblick auf den Koalitionsvertrag der Bundesregierung sehen wir die Hamburger Regierung jedoch in der Verantwortung, das kostenfreie Ticket auch zumindest auf Auszubildende und Studierende auszuweiten.
Keine halben Sachen! Konsequent für einen TV Stud!
„Studentische Beschäftigte bundesweit in den Tarifvertrag der Länder einzubeziehen“, ist eine grundsätzlich begrüßenswerte Aussage für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, an die sich die Stadt und insbesondere TdL-Vorsitzender und Hamburger Finanzsenator Andreas Dressel in der nächsten Tarifrunde der Länder zu messen lassen hat! Statt politischer Bekenntnisse braucht es die Zusage, dass Hamburg im Arbeitgeberverband für die Tarifierung der studentischen Beschäftigten stimmen wird. Und es braucht die Bereitschaft, im Falle einer Blockadehaltung des Arbeitgeberverbands einen Tarifvertrag auf Landesebene abzuschließen.
Was fehlt, ist das Versprechen sich auch für die Mitbestimmungsrechte von studentischen Beschäftigten einzusetzen. Mit dem erneuten Bekenntnis zur “Stadt der guten Arbeit” soll die Neugründung von Personalräten unterstützt werden. Wir erwarten, dass die Stadt hier als gutes Beispiel mit der Einrichtung von eigenständigen Personalräten für studentische Beschäftigte an allen Hamburger Hochschulen voran geht und eine entsprechende Gesetzesänderung vorlegt.
Trotz Bauinvestitionen bleiben Hamburgs Hochschulen unterfinanziert
An den unterschiedlichen Hochschulen gibt es massiven Bau- und Sanierungsbedarf, der angegangen werden muss. Die geplanten mehr als 6 Mrd. € für bauliche Infrastruktur und das Versprechen der hohen Standards der Nachhaltigkeit begrüßen wir. Wir fordern eine zügige Umsetzung, damit Studierende in Hamburg nicht mehr auf Baustellen lernen müssen. Die Umsetzung davon werden wir weiter kritisch begleiten und die Parteien an ihre Versprechen erinnern.
Doch wo die Baufinanzierung gestärkt wird, zeigen sich immer mehr Probleme in der laufenden Finanzierung. Einige Hochschulen haben schon länger drastische Probleme,
bei anderen beginnt die Krise gerade jetzt. Wir sehen bereits regelmäßig, wie Nachbesetzungen von Stellen ausgesetzt, Übungen oder ganze Studiengänge gestrichen und vor allem digitale Medien in den Bibliotheken abgebaut werden. Darunter leiden vor allem der wissenschaftliche Nachwuchs und das Studium, die beide unerlässlich sind, um den Anspruch der Exzellenz zu erfüllen. Es zeigt sich ganz klar, dass die "verlässliche" Grundfinanzierung hinter der Inflation und den zusätzlichen Bedarfen z.B. für IT-Sicherheit zurückbleibt. So bleibt kein Raum für das qualitative Studium und die starke Forschung, die mit einer Ausfinanzierung möglich wäre.
Aufarbeitung und Diversität muss gefördert und nicht untergraben werden!
Hamburg war Deutschlands Kolonialmetropole und trägt daher große Verantwortung für die Aufarbeitung dieser Geschichte. Einen zentralen Beitrag dazu leistet der
Projektverbund "Forschungsstelle Hamburgs (Post-)Koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung". Die Wahlversprechen dieses Projekt zu stärken und mit 150.000 € weiterzuentwickeln sind in Wahrheit eine Kürzung. Mit dem einhergehenden Verlust an Eigenständigkeit drohen dem Forschungsbereich weitere Kürzungen. Im Koalitionsvertrag findet die Forschungsstelle nun gar keine Erwähnung mehr.
Ähnlich wirkt der Zentralisierungs- und Finanzdruck z.B. auch auf die "Zentrale Bibliothek Frauenforschung, Gender und Queer Studies". Diese ist von der Auflösung und ihre Bestände von Zerstreuung und Einlagerung bedroht. Das zugehörige Zentrum „Gender & Diversity“ wird damit nicht unterstützt, wie SPD und Grüne versprechen, sondern aktiv geschädigt. Um den Anspruch als diverse Stadt, die von der Geschichte lernt, zu erfüllen, müssen diese Orte und Projekte geschützt und gefördert werden.
Kein Wegschauen bei Diskriminierung und Bildungsungerechtigkeit!
In dem Kapitel "Wissenschaft und Forschung" wird FLINTA*-, Queer-, BIPOC-, Beeinträchtigten- und Arbeiter*innenkinder-Förderung von den Koalitionär*innen nur extrem flüchtig erwähnt. Das fehlende Studienangebot für Genderstudies in Hamburg wird komplett verschwiegen. Die geforderten Antisemitismusbeauftragten an Hochschulen finden genauso wenig Erwähnung wie die Schließung der Bibliothek des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden. Des Weiteren wird nicht darauf eingegangen wie der barrierefreie Ausbau der inklusiven Hochschule(n) umgesetzt werden soll. Das geplante Landesantidiskriminierungsgesetz kann bei guter Umsetzung ein bedeutender Schritt für Verbesserungen sein. Hier müssen Betroffene gehört und die großen existierenden Lücken drigend geschlossen werden.
Gegen die weiter bestehende Möglichkeit der Exmatrikulation auf Grund von unerwünschtem politischem "Fehlverhalten" wird nichts unternommen. Stattdessen wird die Tür für Gesinnungsprüfungen durch Regelanfragen beim Verfassungsschutz geöffnet, die z.B. für Lehramtsstudierende Berufsverboten gleichkommen können, wie zuletzt in Bayern gesehen haben. Im Koalitionsvertrag findet sich kein Plan vor dieser potentiellen politischen Diskriminierung zu schützen. Mit der nachhaltigen Bekämpfung von Diskriminierung an deutschen Hochschulen befassen sich die Koalitionär*innen nicht — selbst in Hinblick auf massiv gestiegene Diskriminierungszahlen und angesichts des Erfolgs der AfD auch im Jahr 2025.
Internationalisierung kommt durch Zugänglichkeit, nicht durch Marketing
Die Parteien wollen bei der Einführung englischsprachiger Bachelorstudiengänge und dualer Studienangebote unterstützen, müssen dafür aber wie bereits dargestellt, auch die notwendigen Gelder freigeben. Die Pläne Marketing als konkrete Maßnahme zu nutzen, um die Internationalisierung zu fördern, verfehlen die zugrunde liegenden Probleme komplett. Die Unterstützung und Verstetigung von Förderprogrammen wie z.B. #UHHhilft und der Abbau von aufenthaltsrechtlichen Hürden würden internationalen Studierenden stattdessen konkret helfen.
Denn ein Deutschniveau auf Level C1 wird zu Beginn des Studienantrittes gefordert, aber ein Visum zum Spracherwerb und der Studienvorbereitung nur mit einem Finanzierungsnachweis über 11.208 € pro Jahr erteilt. Visa zum Zweck der Ausbildung reichen in der Regel nur mit zusätzlichem Nebenjob zur Aufenthaltsstatusqualifikation, weil die Ausbildungsvergütung noch immer unter dem Mindestlohnniveau liegt. Die Visa zur Arbeitstätigkeit zählen nur bei qualifizierter Arbeitstätigkeit, welche auch
Studierende mit deutschem Pass nicht ohne Weiteres direkt nach dem Berufsabschluss erbringen können. Auch hier muss der versprochene Einsatz von SPD und Grünen auf Bundesebene konkretisiert werden, um kein leeres Versprechen zu bleiben. Die Prävention von anstehenden Exmatrikulierungen Studierender ohne deutschen Pass nach den bisherigen Plänen des Bundes findet des Weiteren keinerlei Erwähnung.
Es braucht klare Bekenntnisse zu ziviler Forschung!
Das wiedereinmal vorsichtige und unkonkrete Bekenntnis der Koalitionär*innen zur Unterstützung der Friedens- und Sicherheitsforschung ist ein erster kleiner Schritt aber alleine ungenügend. Denn auf Bundesebene steht die von SPD und CDU/CSU angestrebte Erleichterung von Dual-Use-Forschung und zivil-militärischer Forschungskooperation dem Prinzip der zivilen Forschung entgegen. Drittmittel des Bundes könnten zukünftig vornehmlich für Forschung mit militärischem Nutzen bereitgestellt werden. SPD und Grüne nehmen ihre Verantwortung nicht wahr,
Forschende vor einer militaristischen Vereinnahmung und damit die
Wissenschaftsfreiheit zu schützen. Es braucht klare Bekenntnisse und aktives Arbeiten in die Bundesebene, um zivile Forschung zu schützen.
Zur Ressortverteilung
Die wohl größte Überraschung aus den Koalitionsgesprächen ist wohl die neue Ressortverteilung. Die Arbeit der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke und Senatorin Katharina Fegebank haben wir stets kritisch begleitet. Dabei war der Austausch, wenn nötig streitsam und wenn möglich auch sehr konstruktiv. An die voraussichtlich zukünftige Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung Maryam Blumenthal haben wir hohe Erwartungen, die wir lautstark vertreten werden. Um Studierende, Hochschulen und Wissenschaft weiter zu stärken, hoffen wir uns zeitnah zu einem ersten Gespräch zu treffen.