Stellungnahme zur Schließung der Forschungsstelle Hamburg (post-)kolonial
12. November 2024
Am 2. Oktober 1904 verkündete Lothar von Trotha, Kommandeur der deutschen "Schutztruppen" in der Kolonie "Deutsch-Südwestafrika" (heutiges Namibia), den berüchtigten "Vernichtungsbefehl gegen die Bevölkerungsgruppen der Herero und Nama. Diese grausame Entscheidung leitete den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts ein, bei dem unzählige Menschen (Schätzungen gehen von 50.000 bis 70.000 aus) ihr Leben verloren. Die deutsche Kolonialgeschichte ist geprägt von Gewalt und Unterdrückung, und die Verantwortung, diese Geschichte aufzuarbeiten, liegt nicht nur bei Historiker:innen, sondern in der gesamten Gesellschaft.
Rund um den 120. Jahrestag dieser dunklen Episode hat der Hamburger Wissenschaftsausschuss entschieden, die "Forschungsstelle Hamburg (post-)koloniales Erbe" zu schließen und ihre Mittel erheblich zu kürzen. Diese Entscheidung, ist nicht nur ein Schlag gegen die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit kolonialen Themen, sondern auch ein Zeichen für das unzureichende Verständnis und die Wertschätzung für die Relevanz postkolonialer Forschung in der heutigen Zeit. Dass der Wissenschaftsausschuss für seine Entscheidung von der AfD beklatscht wird, ist zwar absehbar, verweist jedoch auch in besonderem Maße auf die Kontinuitäten und personellen Verflechtungen rechtskonservativer bis -extremer Burschenschaften, deren politische Agenda innerhalb der Universität so implizit anerkannt und gestärkt wird.
Die Einrichtung der Forschungsstelle vor zehn Jahren war auch das Ergebnis studentischer Kämpfe, welche immer wieder auf die koloniale Gründungsgeschichte der Universität Hamburg und ihre Verflechtungen mit dem städtischen Handelskapital verwiesen. Diese könnten kaum eklatanter offenbar werden, als im 1908 gegründeten Kolonialinstitut, aus dem die Universität 1919 in ihrer heutigen Form hervorging. Die blutige Ausbeutung der vom Deutschen Reich kolonisierten Gebiete, steht somit nicht nur am Anfang eines Großteils des von Wenigen angeeigneten Reichtums, sondern auch des institutionalisierten Wissenschaftsbetriebs dieser Stadt. Dass dies heute weniger offen zur Schau gestellt wird, ist vor allem den Studierenden zu verdanken, die nicht nur die wissenschaftliche Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit vorantrieben, sondern auch ganz praktisch die Demontage omnipräsenten Kolonialdenkmäler in die eigenen Hände nahmen. So dominierten Standbilder der Kolonialoffiziere Herrmann von Wissmann und Hans Dominik den Vorplatz vor dem Hauptgebäude, bis sie 1968 in einer öffentlichen Aktion endgültig gestürzt wurden. Dass sich der Hamburger Senat überhaupt genötigt sah, die Forschungsstelle einzurichten, ist neben internationalem Druck der ehemals Kolonisierten auch auf die andauernde Aktivität Studierender zu dieser Thematik zurückzuführen.
Die Forschungsstelle war in den letzten Jahren ein zentraler Ort für die kritische Beschäftigung mit Kolonialgeschichte und deren Auswirkungen auf die Gegenwart. Neben unzähligen Veröffentlichungen, Tagungen und Veranstaltungen wurde mit der kostenlosen App "Koloniale Orte" ein Medium geschaffen, mit dem Interessierte niedrigschwellig und leicht zugänglich Hamburgs Kolonialgeschichte erkunden können. Die Schließung der Forschungsstelle und die damit verbundene drastische Kürzung der Mittel – von 200.000 Euro jährlich auf 75.000 Euro für lediglich zwei Jahre – stellt einen massiven Rückschritt dar. Die geplante Eingliederung in die Fakultät GeiWi wird zudem nicht durch zusätzliche Mittel unterstützt, was die nachhaltige Forschungsarbeit ernsthaft gefährdet. Es ist zu befürchten, dass die Forschung in diesem Bereich nur noch als Nebenaspekt innerhalb anderer akademischer Verpflichtungen betrachtet wird.
Die Argumentation des Senats, dass die Profilinitiative „(Post)koloniale Ordnungen“ eine Verbesserung der Forschung darstellen würde, ist irreführend. Ohne die Zusicherung zusätzlicher finanzieller Mittel wird diese Initiative kaum mehr als eine unverbindliche Vernetzung von Dozent:innen sein, die ohnehin bereits mit anderen
Verpflichtungen ausgelastet sind. Es fehlt an einer klaren Strategie und den notwendigen Ressourcen, um eine ernsthafte und umfassende Auseinandersetzung mit kolonialen Strukturen zu gewährleisten.
Universitäts-Präsident Hauke Heekeren und die Dekanin der GeiWi-Fakultät, Silke Segler-Meßner, haben diese Entscheidung der Senatsfraktionen im Wissenschaftsausschuss nachdrücklich durch vorbereitete Statements unterstützt und gegen jegliche Kritik verteidigt. Das Agieren der beiden steht in starkem Kontrast zu den Bedürfnissen der Forschungsgemeinschaft. Die Entscheidung wirft Fragen über die Prioritäten innerhalb der Universität auf. Von Vertreter:innen der Universität erwarten wir, sich für wissenschaftliche Interessen und damit insbesondere die Ausfinanzierung von Forschung einzusetzen, statt dem ideologisch begründeten Imperativ zu Austeritätsmaßnahmen nachzugeben oder diesen gar zu verinnerlichen.
In Anbetracht dieser Entwicklungen ist es unerlässlich, dass sich Studierende, Forschende und die breite Öffentlichkeit für eine umfassende und nachhaltige Auseinandersetzung mit kolonialer Geschichte einsetzen. Wir fordern daher ein Umdenken und die Rückkehr zu einer angemessen finanzierten, unabhängigen Forschung, die sich fundiert mit der kolonialen Vergangenheit auseinandersetzt und deren Auswirkungen auf die Gegenwart thematisiert. Nur so können wir gewährleisten, dass endlich Lehren aus der Geschichte gezogen werden und unseren Teil dazu beitragen, die noch immer bestehenden globalen Ausbeutungsverhältnisse endlich zu überwinden.
Für alle, die sich tiefgehender mit der kolonialen Vergangenheit Hamburgs und der Uni beschäftigen wollen, empfehlen wir folgende Literatur:
1) AStA UHH: Das permanente Kolonialinstitut, Hamburg: 1969. https://sds-apo68hh.de/wp-content/uploads/2019/12/1969-ASTA-HH-Hrsg.-Das-permanente-Kolonialinstitut-ocr.pdf
2) Buch eines Mitarbeiters der Forschungsstelle zum noch heute bestehenden Hamburger Reederei-Unternehmen Woermann und seinen verstrickungen in den deutschen kolonialismus: https://www.wallstein-verlag.de/9783835353671-unternehmen-weltaneignung.html (über SUB als PDF)
AStA Universität Hamburg, 12. November, 2024