Offener Brief: Studieren in der Krise - fehlende Absicherung für Studierende und Hochschulen
13 December 2022
Sehr geehrter Hamburger Senat,
sehr geehrte Senatorin Katharina Fegebank,
sehr geehrter Senator Andreas Dressel,
die Klimakrise, eine andauernde Covid-19 Pandemie, die Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine für die Energieversorgung, die aktuell hohe Inflation - die Folgen dieser globalen Krisen treffen auch die Hamburger Studierenden, die Hochschulen und Forschungseinrichtungen, an denen Lösungen zu solchen gesellschaftlichen Problemen entwickelt werden.
Daher ist es unverständlich, dass die Hochschulen durch den Senat nicht bei der Bewältigung der Mehrkosten unterstützt werden. Während Schulen und Landesverwaltungen keine separaten Haushalte haben und Mehrkosten automatisch abgefangen werden, müssen Hochschulen auf ihre eng gesteckten Haushalte zurückgreifen. Diese Mehrkosten werden mit den Mitteln bezahlt werden müssen, die sonst für Lehre, Forschung und Transfer bereit gestanden hätten. Dies wird sich stark negativ auf den Wissenschaftsstandort Hamburg auswirken.
Daneben müssen wir beobachten, wie sich die soziale und finanzielle Lage der Studierenden konstant verschlechtert. Die geschlossenen Universitäten zur Covid-19-Pandemie führten zu einer bisher unvergleichlichen psychischen Belastung der Studierenden. Die Inflation, die Energiekrise und die generell sehr hohen Lebenshaltungskosten in Hamburg treffen sie erneut besonders heftig. Die meisten Studierenden haben keine Mittel, auf die sie zurückgreifen können. Viele leben unter der Armutsgrenze und können nicht weiter sparen. Ohne Unterstützung werden noch mehr Studierende in die Armut gedrängt und gezwungen sein, ihr Studium abzubrechen. Die soziale Ungleichheit unter den Studierenden verschärft sich drastisch.
Die Hamburger Landes-ASten-Konferenz (LAK) tritt mit großer Besorgnis über die Situation von Studium, Lehre und Forschung und im Besonderen der Studierenden im kommenden Winter und darüber hinaus an Sie heran. Die den Hamburger Hochschulen auferlegten Energiesparmaßnahmen könnten den Betrieb von Studium, Lehre und Forschung einschränken. Die Inflation sowie die Energiekrise stellen wieder eine Bedrohung für die Forschungs-, Arbeits- und Studienbedingungen dar.
Schon nach dem Abschluss der Hochschulvereinbarung mussten wir beobachten, dass durch eine unzureichende Finanzierung Studienangebote gestrichen und Stellen nicht besetzt wurden. An vielen Stellen war somit eine deutliche Verschlechterung der Lehr- und Arbeitsbedingungen zu spüren, sogar ganze Forschungsprojekte und Studiengänge mussten gestrichen werden oder sind von der Beendigung bedroht. Die Strukturen, die durch solche Sparmaßnahmen zerstört werden, können nicht einfach wieder aufgebaut werden und sind ein langfristiger Verlust in der Forschungslandschaft.
Meist treffen Einsparungen im Hochschulbetrieb zuerst das wissenschaftliche Personal. Die Ausgangslage ist in dieser Gruppe meist besonders schlecht: hochqualifizierte Mitarbeitende arbeiten oft in Teilzeitanstellungen mit erheblichen Überstunden, die wegen der befristeten Anstellung auch keine Planungssicherheit bieten. Diese befristeten Stellen werden unter Sparmaßnahmen nicht verlängert, freiwerdende Stellen längere Zeit nicht nachbesetzt. Weniger Personal führt zur Überlastung von einzelnen Angestellten und zu einer schlechteren Lehre insgesamt. Diese trifft wiederum Studierende in prekären Lebenssituationen am härtesten. Rund zwei Drittel der Studierenden arbeiten neben dem Studium, um sich den Lebensunterhalt leisten zu können. Wenn neben Arbeit und Studium wenig Zeit bleibt, können schlechte Lehre und fehlende Lehrangebote nicht durch noch mehr Zeit in der Bibliothek ausgeglichen werden. Das wird unweigerlich dazu führen, dass Studierende, die finanziell darauf angewiesen sind, neben dem Studium zu arbeiten, durchschnittlich schlechtere Leistungen erbringen, die Regelstudienzeit nicht einhalten oder sogar das Studium abbrechen.
Als ASten merken wir insbesondere, dass die Lebenslage von Studierenden sich insgesamt drastisch verschlechtert. 30% der Studierenden leben bereits unter der Armutsgrenze, unter den BAföG-Empfänger*innen sind es sogar 45%. Die weiteren Kostensteigerungen führen zu einer noch größeren Armut unter Studierenden. Hinzu kommt, dass die Infrastruktur, die dafür gedacht ist, Studierende in allen Lagen zu unterstützen, genauso leidet. Der HVV hebt jährlich die Beiträge für das Semesterticket an und auch das Studierendenwerk musste 11 Standorte in Hamburg schließen, während die Preise für das Mensaessen erheblich stiegen. Hier erwarten wir dringlichst Unterstützung, dass die Mehrkosten des Studierendenwerks aufgefangen und nicht auf die Studierenden verlagert werden. Langfristig braucht es zusätzlich einen erheblich günstigeren ÖPNV, günstige Mieten und ein bedingungsloses BAföG, welches den Lebensunterhalt sichert.
Für uns ist es zentral, herauszuheben, dass die Abwendung der Klimakrise, die faire Anstellung von Mitarbeitenden sowie gute Studienbedingungen keine Ziele sind, die sich gegensätzlich zueinander verhalten. Vielmehr fördern starke Hochschulen die Begleichung sozialer Ungerechtigkeiten und leisten einen relevanten Teil zur Bewältigung der Klimakrise. Wir fordern daher ein Umdenken der Hochschulstrategie des Hamburger Senats, dass die Krise ein Appell ist, die vorhandenen Strukturen nicht kaputt zu sparen, sondern zu fördern.
In dieser Krise gehen viele Entlastungen an den Studierenden vorbei, diese dürfen aber nicht vergessen werden. Die Hamburger Hochschulen müssen es sich leisten können, offen zu bleiben, um Studierenden eine warme Mahlzeit, einen warmen Arbeitsplatz und auch einen Ort für soziale Zusammenkünfte zu bieten! Preissteigerungen in den Mensen, beim Semesterticket und die generelle Preisentwicklung, sowohl bei Lebensmitteln, als auch Mietpreise, machen den Studierenden unnötig das Leben schwer und befeuern die soziale Ungleichheit innerhalb unseres Bildungssystems.
Dafür braucht es eine ausreichende Finanzierung der Hochschulen und Universitäten, diese Krisen dürfen nicht auf dem Rücken von Wissenschaft und Forschung und im Besonderen nicht auf den Studierenden abgeladen werden.
Die erhöhten Ausgaben für den Betrieb von Gebäuden und Einrichtungen dürfen auch in den kommenden Jahren nicht zu Kürzungen der ohnehin schon äußerst knappen Mittel für Studium, Forschung und Lehre führen. Sowohl kurzfristige als auch langfristige Einsparmaßnahmen in diesem Bereich hätten zur Folge, dass die Infrastruktur für die Ausbildung von Studierenden und für die Forschung nicht mehr aufrechterhalten werden kann und nachhaltig Schaden erleidet.
Die Landes-ASten-Konferenz fordert, dass die Hamburger Hochschulen als kritische Infrastruktur eingestuft werden, um damit die Energiesparziele zu lockern und die zusätzlichen Bewirtschaftungskosten zu übernehmen!
Des weiteren fordern wir die direkte Unterstützung der Hamburger Studierenden, eine sichere Finanzierung des Hamburger Studierendenwerkes, die Angleichung des HVV-Semestertickets an das kommende Deutschlandticket verbunden mit einer deutlichen Kostensenkung und ein Umdenken in der Hochschulstrategie! Die Hamburger Hochschulen können nur dann Lösungen für die gesellschaftlichen Krisen und Probleme bieten, wenn sie, ihre Angestellten und ihre Studierenden auch in der Lage sind, diesen Aufgaben und Fragen nachzugehen.
Wir bitten Sie darum, schnellstmöglich mit uns in Gespräche einzutreten und appellieren eindringlich an den Hamburger Senat, Maßnahmen zu ergreifen und seiner Verantwortung gegenüber den Hamburger Studierenden, Hochschulen und Universitäten nachzukommen.
Die Studierenden dürfen in dieser Krise nicht vergessen werden! Daher fordern wir, dass der Senat sich für die Umsetzung folgender Punkte im Bund und in Hamburg einsetzt:
- Die Einstufung der Hochschulen als kritische Infrastruktur: Die Hochschulen sind Orte, an denen an den Lösungen der Krisen gearbeitet wird, ein Ort der Bildung und des sozialen Austauschs. Daher müssen auch in der Energiekrise die Hochschulen dauerhaft für alle offen bleiben und mit entsprechenden Mitteln unterstützt werden, um die Krisenfolgen abzuwehren.
- Ausfinanzierung der Hochschulen: Seit Jahren haben die Hochschulen mehr Aufgaben zu bewältigen, die Mittel steigen dafür nicht genug an. Darunter leiden Forschung und Arbeitsverhältnisse, diese Folgen wirken sich immer auch negativ auf die Lehre aus.
- Bezahlbares Wohnen: Der größte Kostenpunkt des Lebens in Hamburg sind die Mietpreise. Ob durch Mietpreisdeckel, mehr Wohngeld oder der Subventionierung von Wohngemeinschaften - die andauernde Krise des Hamburger Wohnungsmarktes muss bekämpft werden, nicht nur zugunsten der Studierenden. Auch die Kapazität von Studierendenwohnungen muss über das geplante Maß hinaus erhöht werden.
- Die Ausfinanzierung des Studierendenwerks: Die Schließung von Mensen und Cafés, Mietpreiserhöhungen in Wohnheimen und teures Essen sind die Folgen der Unterfinanzierung des Studierendenwerks. Die Finanzierung ab 2024 ist noch unklar. Wir fordern hier, dass die Stadt Hamburg einspringt, sodass die Krisenfolgen nicht wir Studierenden tragen müssen.
- Günstiger ÖPNV: Jahr für Jahr müssen wir die Erhöhung der HVV-Beiträge hinnehmen, mit der Einführung des 49€-Tickets ist bisher unklar, welche Mehrkosten hier auf uns umgelagert werden sollen. Im Sinne des Klimaschutzes und der sozialen Teilhabe müssen alle Studierenden eine Garantie auf günstigen, gar kostenlosen ÖPNV im Bundesgebiet haben. Eine Angleichung des Semestertickets an die Leistung des Deutschlandtickets ohne eine Erhöhung der Kosten für Studierende kann dafür ein wichtiger erster Schritt sein.
- BAFöG für Alle: Bisher beziehen nur 11% aller Studis BAFöG, welches nicht einmal ausreicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, erst recht nicht im teuren Hamburg. Diejenigen, die kein BAFöG beziehen, sind meist trotzdem - oder gerade deswegen - von Armut betroffen. Nur ein BAFöG für alle kann der Bildungsgerechtigkeit entgegenwirken.
Die Hamburger Landes-ASten-Konferenz
Pressekontakte:
Janis Wegner - AStA HCU
Mobil: +49 (0) 151 280 65 000 - vorstand-asta@hcu-hamburg.de
Katharina Müller - AStA UHH
Tel.: 040 450 204 29 - katharina.mueller@asta.uni-hamburg.de