Offener Brief an Dieter Lenzen zu geschlechtergerechter Sprache
16. Dezember 2020, von Referat für Antidiskriminierung, Queer-Referat, AlleFrauen*Referat und Aktionsbündnis Queering Academia

Foto: Sharon McCutcheon on Unsplash
In einem offenen Brief wenden sich Studierende des Antidiskrimierungsreferats, des teilautonomen Queer-Referats, des teilautonomen AlleFrauen*Referats sowie vom Aktionsbündnis Queering Academia an den Universitätspräsidenten Dieter Lenzen in Sachen geschlechtergerechter Sprache.
Guten Tag Herr Lenzen,
in dem Podcast "Wie jetzt? Der Dialog mit Dieter" sprechen Sie und der Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider über aktuelle gesellschaftliche Themen. In der inzwischen achten Folge widmen Sie sich dem Thema Gender und nennen Ihren Podcast humorvoll ironisch: "Meine sehr geehrten Herren und Damen – hier kommt die Gender-Debatte" (01.10.2020). Schon der Einstieg des Podcasts wirkt suggestiv, herablassend und deutet darauf hin, dass Sie als Gestalter der Sendung den tatsächlichen Sinn des Genderns nicht verstanden haben bzw. ihn zu verstehen ablehnen. „Ist es denn wirklich so wichtig, immer alle Menschen zu nennen?“, fragt Lars Haider zu Beginn. Sie reagieren und nennen Gendern eine "Verhunzungsform" und das Binnen-Sternchen eine "amüsante Idee". Desweiteren bezweifeln Sie, dass in der Sprache tatsächlich nur alle Männer gedacht wurden und nennen überdies aktuelle Versuche der gendergerechten Sprache „Übergangsphänomene“.
Wir bedauern und kritisieren, dass die Thematik in diesem Podcast-Gespräch von zwei Männern in machtversehenen Positionen (Universitätsleiter und Chefredakteur) dermaßen abgewertet wird. Gleichzeitig kritisieren wir den gesellschaftlichen Umgang mit Versuchen, gendergerechte Sprache einzuführen und umzusetzen. Dieses öffentliche Podcast-Gespräch betrachten wir dabei als Sinnbild für den Umgang mit Gendergerechtigkeit, da feministische Vorstöße oft scheitern, wenn privilegierte Menschen bzw. nicht vom Ausschluss betroffene Personen ihre machtvolle (Sprech-)Position nicht zu verlassen versuchen und somit Ausschluss aktiv produzieren.
Folgend werden wir Kritikpunkte formulieren und appellieren an Sie, den Universitätspräsidenten, sich mit dieser Perspektive auseinanderzusetzten. Daran anschließend möchten wir auf einige, unseres Erachtens nach äußerst wichtige Inhalte bzw. lückenhafte und fehlende Argumentationen hinweisen. Dies geschieht als Bitte, andere Positionen als die eigene zuzulassen und daran anknüpfend auf diskriminierende Sprechakte zu verzichten, von der auch Mitglieder der Universität betroffen sind.
„Es ist so aufwendig, aber es ist wichtig, das -innen nicht zu vergessen, weil es einfach Fakten schafft", sagt Haider eingangs. Da bekommt man direkt Mitleid damit, was man(n) auf einmal alles machen muss, um die vermeintliche Hälfte der Bevölkerung doch endlich auch in der Sprache anzuerkennen. Aber wir dürfen uns vermutlich glücklich schätzen, dass immerhin Frauen jetzt Teil der "Fakten" sind. Für alle Menschen, die sich dem binären System nicht zuschreiben können oder wollen, haben Sie, zwei Herren, nicht so gute Nachrichten, da die Relevanz der Thematik komplett aberkannt wird: Sie, Herr Lenzen, fragen, ob Deutschland vor dem Sternchen keine anderen Probleme hatte. Ob all die Menschen, die mit dem Sternchen gemeint sind, wohl tatsächlich Probleme haben könnten, fragen Sie natürlich nicht. Wenn Sie sich die Frage stellen würden, würden Sie sich sicher nicht mit diesem Diskurs beschäftigen, sondern damit beginnen, an Ihrer Universität ein paar Reformen einzuführen. Aber offenbar haben Sie einfach noch zu wenig zu tun. Für die betroffenen Personen aber stellt die von Ihnen, zwei diskursiv-mächtige, weiße cis-Männer, geführte Debatte über inklusives Sprechen vermutlich ein lächerliches wie tragisches Sinnbild dar.
Zudem fällt auf, dass keiner von Ihnen als Sprecher sich näher mit Perspektiven beschäftigt hat, die für gendergerechte Sprache argumentieren. Das wird deutlich, da Sie selbst beispielsweise über ein vermeintliches "drittes Geschlecht" sprechen, ohne zu ahnen, dass es dies in der Form so nicht gibt. Vielmehr meint ein Sternchen zahlreiche Menschen, die sich dem Zwei-Geschlechter-System, das ihnen gesellschaftlich aufgestülpt wurde, nicht zugehörig fühlen. Sie hingegen belassen Ihre Ausführung über das Asterisk, also dem Genderstern, an dieser Stelle mit dem Hinweis einer "amüsanten Idee", über dessen klangliche Pause während des Sprechens Sie sich abfällig lustig machen.
Tatsächlich erkennen Sie – so ganz der Erziehungswissenschaftler – ja sogar an, dass Sprache sich wandelt und dass diese auch Aufmerksamkeit für ein Thema schaffen kann. Auf die Idee, dass sich durch die Veränderung der Gesellschaft auch die Sprache automatisch ändert, kommen Sie aber nicht. Und dass diese sich durch die Veränderung unserer Gesellschaft gar ändern sollte, scheint Ihnen auch eher fremd.
Vielleicht ist das aus Ihrer Perspektive sogar ein wenig verständlich: Unsere gegenwärtige Sprache folgt der Konstruktion des Mannes als Subjekt unserer Gesellschaft. Damit ist sie geformt durch die patriarchalen Strukturen der Gesellschaft und darauf ausgelegt, diese zu reproduzieren. Sie sind ein Mann. In der gegenwärtigen Sprache wird also die Vormachtstellung Ihres Geschlechts gesichert. Wenn man(n) nun aber Frauen und noch andere Geschlechter mit einbeziehen muss, was macht das denn dann mit seiner Position? Genau. Bestenfalls verliert er diese und findet sich auf gleichberechtigter Ebene mit allen anderen Geschlechtern wieder. Und das macht Ihnen offenbar Angst. So viel Angst sogar, dass Sie zu den allerletzten Mitteln geifen, um sich selbst doch noch als Opfer des Ganzen darzustellen: Sie versuchen, den Kampf um Gleichberechtigung – und damit auch um gendergerechte Sprache – mit Faschismus zu vergleichen:
„Der Beginn des Faschismus ist die Normierung von Sprache", zitieren Sie den jüdischen Philosophen Fritz Stern und meinen, das müsse man sich hinter die Ohren schreiben. Daran anschließend stimmt Haider ein: „Was ist mit einer Gesellschaft los, die glaubt sich erlauben zu können, Sprachnormen für den Einzelnen zu verhängen und ihn mit Sanktionen zu versehen, wenn er oder sie die nicht einhält. Das ist faschistisch. Das muss man klar sehen." Innerhalb dieser Sequenz gibt es aus unserer Perspektive heraus gleich mehrere Aspekte zu kritisieren, die folgend aufgezeigt werden sollen: Der erste Kritikpunkt ist die vermeintlich auferlegte Sprachnorm und daran anknüpfend die vermeintlichen Sanktionen. Darauffolgend möchten wir hier den äußerst anmaßenden Vergleich zum Faschismus kritisieren.
Ausgangspunkt unserer Argumentation ist der normative Anspruch einer pluralistischen Demokratie, in der Vielfalt nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung wahrgenommen wird. Trotz diesem Anspruch ist diese Demokratie nicht frei von Strukturen, die ungleiche Machtverteilungen hervorbringen. Die Position, aus der Sie, Herr Lenzen, sprechen, ist eine Position, die an gesellschaftlichen Verhältnissen gemessen mit sehr viel Macht versehen ist. Es gibt allerdings gesellschaftliche Gruppen, die mit weniger gesellschaftlicher Macht versehen sind und diskriminiert werden, unterrepräsentiert sind oder/und Repressionen erleiden. Zu behaupten, dass jene Gruppen, die in der Öffentlichkeit wenig sichtbar sind, ausreichend Macht innehätten, um Sanktionen in der Öffentlichkeit durchzusetzen, ist im Hinblick auf die gesellschaftlichen Machtverhältnisse schlicht absurd. Der Faschismusvergleich ist in Abetracht der gesellschaftlichen Machtverhältnisse entsprechend revisionistisch. Des Weiteren möchten wir an dieser Stelle darauf hinweisen, dass eine Äußerung von Kritik weder eine Sanktion darstellt, noch mit einem sogenannten Shitstorm oder der Cancel-Culture vergleichbar ist. Vielmehr wird durch den Vorwurf der Sanktionierung/Cancel-Culture die Debatte (von der machtvolleren Sprechperson) für beendet erklärt, wodurch eine Abkehr vom Debatten-Gegenstand erfolgt. Diese klassische Verdrehung kritischer Positionen und Machtverhältnisse, die zu Ungunsten der nicht-hegemonialen Öffentlichkeit ausgeht, wirkt sich negativ auf das Ziel gesellschaftlicher Teilhabe aus. Vielmehr muss hier betrachtet werden, dass die kritische Diskursposition abgewertet und lächerlich gemacht wird, anstatt sich anderer Perspektiven verständnisorientiert anzunähern. Dem Umgang mit der Debatte mangelt es an Werten, die wir uns für eine pluralistische, chancengerechte Gesellschaft wünschen, die also an gesellschaftlicher Teilhabe für eine möglichst breite Zivilgesellschaft interessiert ist. Es findet kein Austausch bzw. Erörterung von Argumenten statt, im Sinne eines demokratischen, kommunikativ-vernünftigen Aushandlungsprozesses. Es ist enttäuschend, dass Sie auf diese Weise mit Kritik umgehen, anstatt sich in eine diskursive Arena zu begeben, um die aktuelle Legitimität der Sprache im Allgemeinen und auch Ihre Sprache argumentativ zu überprüfen. An dieser Stelle möchten wir nochmals auf Ihre Sprechposition als Universitätspräsident verweisen, durch die Sie sich folglich nicht als Privatperson in dem öffentlichen Gespräch befinden, sondern als Universitätspräsident, dessen Position mit gesellschaftlichem Einfluss verbunden ist. Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf das vorangestellte Zitat über Sprachnormierungen als faschistische Handlung im Kontext von gendersensibler Sprache sagen, dass kein verantwortungsvoller Umgang mit Ihrer Machtposition erfolgte, sondern die Positionen ausgeschlossener Menschen, ohne deren Positionen zu hören, durch Sie beide abgewertet wurde.
Wir fragen: Was ist mit einer Gesellschaft los, die sich so sehr an ein paar sprachlichen Zusätzen aufhängt, anstatt an den wahren Problemen in der Gesellschaft zu arbeiten? Was ist mit einer Gesellschaft los, die es schafft, sich wieder und wieder über ein Sternchen aufzuregen, aber schweigt oder gar ignoriert, wenn wieder eine Person aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung tot auf der Straße aufgefunden wurde? Und was ist zu guter Letzt mit einem Universitätspräsidenten los, der es nicht schafft, seine eigene privilegierte Position zu reflektieren und anzuerkennen, dass es tatsächlich Menschen gibt, die von struktureller Diskriminierung betroffen sind? Der lieber seine Zeit damit verschwendet, sich in einem Podcast darüber zu amüsieren und völlig absurde Faschismusvergleiche zu ziehen. Absurd deshalb, weil zum einen niemand dazu gezwungen wird, eine gendergerechte Sprache zu verwenden und es zum anderen nicht um unterdrückende Sprachverbote, sondern um inkludierende Spracherweiterungen geht.
Und aus einem weiteren Grund ist eine derartige Behandlung des Themas Gendern problematisch: Sie knüpft an einen Diskurs an, dessen Kern als Anti-Genderismus aufgefasst werden kann. Im Anti-Genderismus bündeln sich Kräfte aus unterschiedlichen politischen Lagern: von religiös-fundamentalistischen über konservative und rechtspopulistische oder extrem rechte Milieus. Nicht selten und relativ präsent sind hierbei beispielsweise Debatten um „political correctness“. Die Anti-Gender-Mobilisierung fällt daher breit aus und umfasst unterschiedliche Bezugspunkte. Einer dieser Bezugspunkte ist die Vorstellung, der Genderismus bevormunde die Mitglieder einer Gesellschaft und stelle somit eine Gefahr zur totalitären Umgestaltung des Staates, der Gesellschaft und der Individuen dar. Gender eignet sich daher auch als Worthülle, mit der unterschiedliche Lager versuchen, ihre Positionen zu etablieren. Dabei wird zu einem bestimmten Thema eine vage Verbindung zu Sexualität und Geschlecht geknüpft und in einen größeren, als Bedrohung gezeichneten Zusammenhang eingeordnet. In seinem Kern richtet sich dieser Anti-Genderismus somit gegen eine moderne, pluralistische Gesellschaft und verteidigt traditionelle binäre Geschlechterkonstellationen und -hierarchien. Bekannt sind hier zum Beispiel Argumentationen gegen Migrationspolitik, bei welchen die AfD versucht, sich als „schützende Instanz für Frauen“ gegenüber einem vorherrschenden sog. Gender-Wahn zu inszenieren. Hintergrund ist die völkisch-nationalistische Idee homogener Gruppen, die auf geschlossene ethnisch-biologische oder ethnisch-kulturelle Einheiten zurückgeführt werden. Anti-Genderismus ist daher auch fester Bestandteil einer Strategie autoritärer und rechtspopulistischer politischer Projekte, für die ausschließende Programme und die Kontrolle über Körper von Menschen mit Uterus zentral sind (da Menschen jenseits dieses binären Systems von vornerein ausgeschlossen sind).
Wenn eine Person wie Sie, als Universitätspräsident, Gendern in einen potentiellen Zusammenhang mit Faschismus setzen, befeuern und legitimieren Sie solche Debatten. Der gesellschaftliche Konsens über geteilte Vorstellungen wird immer neu ausgehandelt, sodass es durchaus sein kann, dass die Stimmung gegen Feminismus und Gleichstellungspolitiken zu einem neuen „common sense“ erhoben wird. Dass dies in der Tat ein realistisches Szenario beschreibt, lässt sich an den jüngsten Entwicklungen in Polen nachvollziehen. Dort hatten sich die nationalistisch-konservative Regierung der PiS-Partei gemeinsam mit der Kirche immer wieder in Stellung gegen eine sog. Gender-Ideologie gebracht. Zuletzt gipfelte dies in einer Entscheidung des dortigen Verfassungsgerichtes, durch die die Möglichkeit auf eine Verschärfung des sowieso schon extrem eingeschränkten Abtreibungsrecht geschaffen wurde. Es folgten tagelange massive Proteste, da diese Entscheidung und die geplante Gesetzesänderung de facto einem Abtreibungsverbot gleichkommen würde.
Abschließend stellt sich die Frage, warum Sie ausgerechnet diesen Zeitpunkt wählten, um das Thema erneut zu erörtern. Immer wieder ließen Sie durchscheinen, dass Sie von gendergerechter Sprache nicht unbedingt viel halten, was zynisch wirkt, vor dem Hintergrund der sich auch durch die Pandemie verschärften geschlechtsspezifischen Ungleichheiten und erstarkenden Neuen Rechten.
Die Gleichstellungsbeauftragte hat in der Sitzung des Ausschuss für Gleichstellung (AfG) am 17.11.20 berichtet, dass der Expert:innenrat den Entwurf der Empfehlungen zur geschlechtergerechten Sprache an das Präsidium weitergeleitet hat und der Entwurf im erweiterten Präsidium besprochen wurde. Er wird in der nächsten Sitzung des Akademischen Senats auf der Tagesordnung stehen. Es handelt sich um ein 18-seitiges Paper, in dem eine "Kommission mit Expertise in verschiedenen Disziplinen und Bereichen unter Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten" Forschungsstand, rechtliche Hintergründe und eben spezifische Empfehlungen für eine Änderung der rhetorischen und schriftlichen Ansprache sowie für die Verwendung von Pronomen oder stereotypen Begriffen darstellt. Wenn diese Empfehlung die genannten Gremien durchlaufen und bestanden hat, steht einer Umsetzung kaum mehr etwas im Wege. Sie, Herr Lenzen, scheinen das nicht akzeptieren zu wollen, ohne ein letztes Wort fallen gelassen zu haben. Ohne in Ihre – mit Verlaub – eher unsachlichen Diskussion einsteigen zu wollen, hat die Gleichstellungsbeauftragte in der letzten AfG-Sitzung berichtet, dass im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Aktive Mittagspause“ der Stabsstelle Gleichstellung ein Vortrag einer Forscherin zur geschlechtergerechten Sprache von der Universität Hannover am 21. Januar 2021 stattfinden wird
(https://www.uni-hamburg.de/gleichstellung/gleichstellung/veranstaltungen/aktive-mittagspause.html).
Also Herr Lenzen, Sie ehrwürdiger Antifaschist, wir möchten Sie hiermit einladen, diese schöne Gelegenheit zu nutzen, eine überfällige Selbstreflexion nachzuholen. Vielleicht überdenken Sie den Inhalt Ihres Podcasts dann noch einmal und laden in Zukunft Menschen zur Debatte ein, die tatsächlich Expert:innen darin sind.
Referat für soziale Bewegung und Antidiskriminierung
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