Stellungnahme zur Studie zum Ursprung des Corona-Virus der Universität Hamburg
19. Februar 2021, von Karim Kuropka
Foto: Photo by Torsten Dederichs on Unsplash
In einer durch den Pressedienst der Universität Hamburg veröffentlichten Studie untersucht der Nanowissenschaftler Prof. Dr. Roland Wiesendanger den Ursprung des Corona-Virus. Wie die Universität Hamburg mitteilt, kommt er zu dem Ergebnis, dass es Hinweise für einen Laborunfall am virologischen Institut der Stadt Wuhan als Ursache der gegenwärtigen Pandemie gibt. Aus der wissenschaftlichen Gemeinde erheben sich Vorwürfe zur Qualität der erhobenen Studie.
Als Studierendenvertretung der Universität Hamburg möchten wir uns zu der kürzlich veröffentlichten Studie und zum Vorgehen der Universität äußern.
Fehlende wissenschaftliche Standards
In der vom Pressedienst verschickten Mail wird bereits angesprochen, dass die Studie keine „hochwissenschaftlichen Beweise“ liefert. Abgesehen davon, dass fragwürdig ist, was „hochwissenschaftlich“ im akademischen Kontext bedeuten soll, so kann man feststellen, dass eine Studie entweder wissenschaftlichen Standards folgt oder nicht. Die vorliegende Studie wird diesen Standards eben nicht gerecht.
Zuallererst ist sie nicht wie bei allen seriösen Veröffentlichungen peer-reviewed. Ein Peer-Review, d.h. eine Begutachtung der Studie durch Wissenschaftler*innen des gleichen Fachgebiets, ist normalerweise Bedingung für eine Veröffentlichung, da es die Einhaltung der wissenschaftlichen Standards sicherstellt. Gleichzeitig werden innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses Behauptungen auch oft erst dann als potentiell valide Thesen gesehen, wenn sie diesen Prozess durchlaufen haben.
Zudem sind die Quellen, die Prof. Dr. Wiesendanger in seiner Publikation angibt, weit jenseits dessen, was in wissenschaftlichen Arbeiten als zitierbar angesehen wird. Print- und Onlinemedien wie „FOCUS Online“, Youtube oder sogar die wiederholt durch Xenophobie auffallende „Epoch Times“, aber auch „persönliche Kommunikation mit internationalen Kolleginnen und Kollegen“ als Grundlage für wissenschaftliche Studien zu nehmen, ist inadäquat. Wenn Studierende derartige Quellen in Seminararbeiten als Belege anführen würden, wäre ihnen danach ein Gespräch mit den Lehrenden über wissenschaftliche Sorgfalt sicher. Dass nun über den universitären Pressedienst eine derartig defizitäre Arbeit verschickt wird, ist eine Blamage für die gesamte Universität. „Dass Youtube, „FOCUS Online“ und rechtspopulistische Newsportale wie „Epoch Times“ keine seriösen Quellen sind, sollte eigentlich auch der Leitung der Universität Hamburg bekannt sein. Daher lässt sich die Verbreitung dieser sogenannten „Studie“ zum Ursprung von SARS-CoV-2 nur damit erklären, dass die Universität schon im Vorfeld auf ein breites Medienecho gehofft hat.“, so AStA Vorsitzender Leo Schneider.
Öffnung des Diskurses auf welcher Grundlage?
Der von Herrn Wiesendanger formulierte Wunsch, eine „breit angelegte Diskussion“ anzuregen, wird unter dem Aspekt der Unwissenschaftlichkeit zur Farce. In einer gesellschaftlich derart aufgeheizten Stimmung eine Studie zu veröffentlichen, die nicht den wissenschaftlichen Standards entspricht, beschädigt das Vertrauen in die Wissenschaft und erreicht genau das Gegenteil. Wenn die Wissenschaft den öffentlichen Diskurs anregen will, sollte sie auch gleichzeitig dazu anregen, auf Grundlage von nachweisbaren Fakten zu diskutieren und muss hierbei selbst bestes Vorbild sein. Wenn nun einzelne Wissenschaftler*innen dieses Prinzip bewusst brechen, so zielt dies gegen die Reputation und Interessen aller anderen, die sich für faktenbasierte Debatten einsetzen, und befeuert gleichzeitig die Verbreitung von Verschwörungstheorien und „alternativen Fakten“.
Dieser Effekt wird durch die verschiedenen Boulevardmedien noch verstärkt und verselbstständigt sich, wenn Studienergebnisse für die Konsumierbarkeit oder die eigene Auflage stark verkürzt und heruntergebrochen werden: So titelt z.B. die „Bild-Zeitung“ einfach nur: „Hamburger Professor sicher: Corona kam doch aus einem Labor in Wuhan“. In der öffentlichen Wahrnehmung und Darstellung wird dann nicht mehr zwischen wissenschaftlichem Diskurs und verschwörungsideologischen Argumenten unterschieden. Daraus wiederum entstehen – befeuert durch mediale Verzerrung, Verunsicherung und Vertrauensverlust – Abwehrhaltungen und es werden im vorliegenden Fall auch anti-asiatische Rassismen weiter verbreitet. Menschen, die von anderen asiatisch gelesen werden, haben sich schon zu Krisenbeginn vielfältigen Anfeindungen ausgesetzt gesehen und wir befürchten, dass durch eine solche Studie derartige Rassismen zunehmen. Indem die Universität Hamburg durch die Veröffentlichung qualitativ minderwertiger Studien derartigen Zuständen Vorschub leistet, wird sie ihrer gesellschaftlichen Verantwortung als Ort der Forschung und Wissensvermittlung nicht gerecht. Leo Schneider führt weiter aus: „Mit diesem Gieren nach Aufmerksamkeit hat sie nicht nur jeglichen wissenschaftlichen Standard verletzt, sondern auch all die Studierenden und Wissenschaftler*innen unserer Universität, welche sich grade in diesen Zeiten für eine Wissenschaft einsetzen, bei der es nicht um kurzlebige mediale Aufmerksamkeit, sondern um Erkenntnisse geht, auf die sich Menschen verlassen können."
Schuldzuweisungen verhindern die Debatte über die eigentlichen Probleme der Pandemie
Die Studie verschiebt weiterhin den Diskurs in eine Richtung, die niemanden weiterbringt. Durch sie treten Schuldzuweisungen in den Vordergrund und die Beendigung der Pandemie sowie der Umgang mit ihren Auswirkungen verschwinden hinter einer emotional und ideologisch geführten Scheindebatte. Die Frage nach den Ursprüngen von SARS-CoV-2 ist sicherlich von immenser Wichtigkeit und wird dazu beitragen, künftige Vorfälle zu verhindern und mehr Verständnis in der Gesellschaft zu erwirken. Gerade dafür muss die Wissenschaft jedoch möglichst exakte Ergebnisse liefern und nach höchsten Standards arbeiten, um sinnvolle Debatten anzuregen.
Wir halten die Veröffentlichung dieser speziellen Studie in der vorliegenden Form daher für gesellschaftlich verantwortungslos und wünschen uns, dass zukünftige Veröffentlichungen der Universität wieder im Geiste der Forschung und der Bildung stehen.
Ansprechpartner für Pressefragen:
Sally Bohm
Presse- und Öffentlichkeitsreferentin AStA Uni Hamburg
sally.bohm@asta.uni-hamburg.de