Ergänzung zur Stellungnahme des AStA: Zu den Vorfällen am 16.10. und dem anschließenden Gespräch
18 October 2019

Photo: AStA
Am 16.10. fand die Wiederantrittsvorlesung des AfD-Mitgründers Bernd Lucke im Hauptgebäude der Universität Hamburg statt. Anlässlich dieses Umstands riefen wir, der Allgemeine Studierendenausschuss, zu einer Kundgebung vor dem Hauptgebäude auf. Im Rahmen dieser haben wir mit Redebeiträgen über die brisante politische Vergangenheit von Bernd Lucke und dessen wirtschaftswissenschaftliche Ausrichtung informiert.
Die Störung der Vorlesung
Noch während die vom AStA ordentlich angemeldete Kundgebung vor dem Hauptgebäude lief, kam es im Hörsaal B zu Protesten und Störaktionen. Die sowieso schon angespannte Situation wurde insbesondere noch einmal angeheizt, als Bernd Lucke das Podium verließ und zwischen Studierenden im Auditorium Platz nahm. Dieses Verhalten hat nicht zu einer Deeskalation geführt, sondern vielmehr als Provokation auf die Protestierenden gewirkt. Gleichwohl es Herrn Lucke, und auch seinen Studierenden, jederzeit möglich war, den Hörsaal zu verlassen und die Situation damit sofort und nachhaltig zu entschärfen, hat er sich entschieden, die Studierenden als Schutz zu benutzen. Dies muss als politische Handlung gewertet werden und diese werfen wir Herrn Lucke vor. Ihm obliegt, das Wohlergehen seiner Studierenden sicherzustellen, und diese Pflicht hat er einer politischen Handlung untergeordnet.
Im Laufe des Geschehens wurden anwesende Mitglieder des AStA gebeten, moderierend einzuschreiten und die Anwesenden zu Mäßigung und Besonnenheit aufzurufen, sodass die körperliche Unversehrtheit aller gewahrt bleibt. Der AStA ist dieser Bitte nachgekommen und hat, trotzdem er mit diesen Störungen ursprünglich nichts zu tun hatte, alle Anstrengungen unternommen, um die Situation im Hörsaal zu beruhigen. Der Protest ist abgesehen von einzelnen bedenklichen Szenen im Großen und Ganzen friedlich geblieben. Die Folge daraus war trotzdem, dass der AStA nun mit den Störungen assoziiert und als Urheber dargestellt wird, was ihm in der öffentlichen Wahrnehmung erheblichen Schaden zufügt. Im Gegensatz zu Herrn Lucke stellen wir jedoch unsere Pflicht über unser politisches Ansehen und stehen zu unserem mediierenden Eingreifen.
Wir möchten an dieser Stelle nochmals darauf verweisen, dass der AStA zu keinem Zeitpunkt zum Stören von Lehrveranstaltungen aufgerufen hat und ebenfalls nicht an der Organisation von Störungen am 16.10.19 in der Vorlesung “Makroökonomie II” involviert war. Wir möchten ebenso klarstellen, dass wir Beleidigungen und physische Gewalt nicht als probates Mittel der demokratischen Verständigung sehen und diese ablehnen. Dennoch sind wir der Auffassung, dass friedlicher Widerspruch und Ungehorsam ausgehalten werden müssen, wenn sie einem demokratischen Prozess zuträglich sind. Diesen Sachverhalt sehen wir nicht zuletzt durch die öffentliche Diskussion um die persona Bernd Lucke, welche am Mittwoch angestoßen wurde, als gegeben an.
Freiheit der Meinung - Freiheit der Lehre
Wir weisen an dieser Stelle nochmal ausdrücklich auf unsere bisherigen Stellungnahmenund Aufrufe hin (vom 16.10.; vom 14.10. und vom 29.7.), in denen wir als AStA in keiner Form ein Berufsverbot für Herrn Lucke fordern, wie uns fälschlicherweise mehrfach unterstellt wurde. Herr Lucke hat trotz seiner aus unserer Sicht kritischen Vergangenheit jedes Recht, an die Uni zurückzukehren. Wie schon auch mehrmals der Presse gegenüber geschildert, ging es uns bei der Kundgebung vor allem darum, dass darüber diskutiert wird, wer sich hier nach einer gescheiterten Politkarriere in den Universitätsbetrieb zurückzieht. Wir möchten, dass eine Debatte angestoßen wird und auch, dass auch über den Campus hinaus die Möglichkeit geboten wird, den Unmut über Bernd Luckes Rückkehr zu formulieren. Diese Meinungsäußerung und auch diese Kritik stehen uns zu.
Weiterhin ist es natürlich Herrn Luckes Recht, die Inhalte zu beforschen und zu lehren, die er für richtig hält. Auch dies haben wir entgegen der fälschlichen medialen Darstellung nie infrage gestellt. Der Vorwurf, man würde die Wissenschaftsfreiheit einschränken, ist lächerlich, wenn man bedenkt, dass die von Lucke vertretene Neoklassik an den deutschen Hochschulen bereits jetzt in erdrückender Mehrheit gelehrt wird. Wir forderten stattdessen von Anfang an mehr Pluralismus in den Wirtschaftswissenschaften und die gleichberechtigte Behandlung verschiedener wirtschaftswissenschaftlicher Theorien, wie es in jedem anderen Fachbereich auch üblich ist.
Vom “Nazis raus!” zur Holocaust-Relativierung
In der medialen Berichterstattung zeigt sich Herr Lucke bestürzt über Sprechchöre im Hörsaal wie “Nazis raus!” oder “Nazi-Schweine raus aus der Uni!” und weist diese Vorwürfe entschieden von sich. Im selben Moment wirft er aber auch den Protestierenden vor, “genau in die Fußstapfen der Nazis” zu treten und vergleicht sich selbst mit jüdischen Professor*innen, welche unter dem NS-Regime von Hochschulen vertrieben wurden (siehe Anhang 1). Wir als AStA sehen darin einen sehr deutlichen Geschichtsrevisionismus und eine gefährliche Relativierung des Holocausts. Luckes Äußerungen sind Wasser auf die Mühlen der neuen und alten Rechten. Wir nehmen dies deshalb als Anlass, um öffentlich zu machen, von welchen Menschen und Zusammenhängen Bernd Lucke dieser Tage Unterstützung erfährt. Dies sind neben dem Bundesverband seiner Partei “Liberal-Konservative Reformer” und dem Landesverband der AfD-Hamburg vor allem unzählige rechte Social-Media-Accounts. Jürgen Joost, Bundesvorsitzender der LKR, vergleicht z.B. die Vorgänge im Hörsaal mit dem “Verhalten und Vorgehen des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes”. Auf den Zug springt übrigens auch Marcus Weinberg, CDU-Spitzenkandidat für die kommende Bürgerschaftswahl, auf, indem er in Bezug auf den Protest verlauten lässt: “Anfang der 30er Jahre haben die Nazis jüdische Professoren aus den Vorlesungssälen gegrölt.”
Wir sind empört und ausgesprochen besorgt darüber, in welch einer Manier dabei vereinzelte und legitime Studierendenproteste unter anderem als Faschismus diffamiert werden. Hier werden sich Methoden der neuen Rechten bedient, die in der medialen Berichterstattung eine Umkehrung der Täter-Opfer-Rolle anstreben. Es war nicht zuletzt Bernd Lucke, der mit seiner fahrlässigen Aussage dieses Narrativ ins Leben gerufen hat.
Wir fordern Bernd Lucke auf, sich umgehend von dieser Aussage zu distanzieren!
- Entsprechende Belege befinden sich im Anhang unten -
Gewaltandrohungen gegen den AStA
Auch im Rahmen der sogenannten “Unterstützung” von Herrn Lucke bekam der AStA über die letzten Tage eine Fülle von Hassmails, Gewaltandrohungen gegen uns und unsere Familien und den Hinweis, dass unsere Bilder auf Nazi-Seiten geteilt werden. Genau hierin zeigen sich die Verrohung und die Verwerfungen der deutschen Gesellschaft, für welche wir Herrn Lucke zumindest mitverantwortlich machen, am besten. Letztendlich sind hier genau die, die am lautesten schreien, wenn man sie oder ihre Wortführer auch nur entfernt kritisiert, diejenigen, die mit allen Mitteln der Verleumdung und der Einschüchterung versuchen, andere Meinungen zu unterdrücken. Wir erwarten auch hier von Herrn Lucke, dass er sich deutlich von diesen Personen und den von ihnen benutzten Methoden distanziert.
- Entsprechende Belege finden sich im Anhang unten -
Das Gespräch zwischen AStA und Herrn Lucke am 17.10.
Bereits im Vorfeld der Kundgebung und auch im Vorfeld der nachfolgenden Ereignisse hatte Herr Lucke den AStA um ein persönliches Gespräch gebeten. Dieses Gesprächsangebot haben wir ergebnisoffen angenommen. Auf Wunsch von Herrn Lucke wurde das Gespräch vom Universitätspräsidenten moderiert.
Wie schon in der schriftlichen Stellungnahme des Universitätspräsidiums angedeutet, konnte während des Gesprächs ein Einvernehmen über die Vorgänge im Hörsaal hergestellt werden, auch wenn sich die Bewertungen grundlegend unterschiedlich gestalten. Gegenstand des Gesprächs waren u.a. auch die oben formulierten Vorwürfe, zu denen wir uns in dieser Stellung geäußert haben.
Wie es von unserer Seite weitergehen wird
Als gewählte Vertreter*innen der Verfassten Studierendenschaft werden wir nicht davon absehen, von unserem Recht Gebrauch zu machen, Herrn Lucke für seine politische Vergangenheit und neoklassische Lehre zu kritisieren. Wir werden unsere Kritik weiterhin sachlich und friedlich äußern.
Anhang und Verweise
(1) https://www.mopo.de/hamburg/anti-lucke-aktionen-in-hamburg-cdu-spitzenkandidat-vergleicht-protestler-mit-pegida--33322142
(2) Stellungnahme der AfD-Hamburg (PDF)
(3) Bagatellisierung und revisionistische Aussagen über die Verfolgung von Jüd*innen durch das NS-Regime und Falschdarstellungen zur Beteiligung des AStA (PDF)
(4) Hasskommentare, eine Auswahl (PDF)