Genderstudies in Hamburg // NC-UHH #1Ein Bericht über die Entwicklung der Gender Studies, Antifeminismus und organisierte Gegenwehr
18 March 2021
Das Zentrum für Gender & Diversity (ZGD) befindet sich im ersten Stock eines flachen Gebäudes in der Monetastraße beim Schlump. Beim Betreten führt die Tür in einen Flur, von dem unterschiedliche Räume abgehen. So auch die Räume der Bibliothek für Frauenforschung, Gender- und Queer-Studies, die öffentlich zugänglich und entsprechend für alle Interessierten offen sind. Die warmen Farben des Ortes mitsamt der schönen Fenster und dem Holzboden laden zum Schmökern in Büchern ein. Dort findet sich eine Literaturauswahl feministischer Theorie, beispielsweise interdisziplinäre Theorien zu Geschlechterverhältnissen, kritischer Männlichkeitsforschung oder Lebens- und Beziehungsformen. Gleichzeitig ist es möglich, sich an einen Arbeitsplatz zu setzen, um dort zu arbeiten und zu verweilen. Folgender Artikel gibt einen Einblick in die Geschichte der Gender Studies. Außerdem wird dargestellt, inwiefern der gesellschaftliche Zuwachs von antifeministischen Tendenzen Gender Studies zusehens unter Druck setzt. Daran anknüpfend werden Möglichkeiten aufgezeigt, sich diesen entgegenzustellen.
Die Entwicklung der Gender Studies und des Zentrums für Gender & Diversity
Als das ZGD in den 80ern gegründet wurde, formulierte es die Kritik des geringen Frauenanteils, sowie den Mangel von Frauenthemen in der Wissenschaft. Dieser Anspruch mündete später, getragen von emanzipatorisch-feministischen Bewegungen, in einer eigenen Wissenschaft, die heute als Gender Studies oder auch Gender- und Queer-Studies bekannt ist. Der Begriff Frauen trat dabei zugunsten einer inklusiveren Form in den Hintergrund. Entsprechend wird aktuell zusätzlich von Gender und Queerness gesprochen. Gender Studies betrachten, wie sich bestimmte Zuschreibungen und damit auch Erwartungen von Geschlecht und sexueller Orientierung gesellschaftlich herausbilden konnten. Der Begriff gender bezeichnet das soziale Geschlecht, welches den Untersuchungsgegenstand der Gender Studies bildet. Unterschieden davon wird sex als das biologische Geschlecht. Durch diese soziale Strukturierung unterliegen Bedeutungszuweisungen und Wahrnehmungen von Geschlecht und Sexualität ebenfalls gesellschaftlichen Wandlungsprozessen. Gender Studies beschäftigen sich mit Thematiken, die in anderen wissenschaftlichen Disziplinen lange unbeachtet blieben oder beleuchten deren Forschungserkenntnisse unter kritisch-feministischen Gesichtspunkten. Daher lassen sich Gender Studies auch als eine Wissenschaft auffassen, welche das bisherige Wissen sowie gesellschaftliche Normen mit kritischem Blick hinterfragt und prüft. Diesen Grundannahmen der feministischen Gender-Forschung folgt auch das Zentrum für Gender & Diversity. Der neue Namenszusatz Diversity weist überdies auf die Einbeziehung von Vielfalt und Dimensionen gesellschaftlicher Ungleichheiten hin. Das Ziel, gender-bezogene Forschungsprojekte und -ansätze sichtbarer zu machen und zu unterstützen, ebenso wie die Funktion der Vernetzung und des Austauschs, ist seit der Gründung bis heute eins der zentralen Anliegen des ZGDs. Auch extrauniversitäre Veranstaltungen, Projekte und Beratungen werden vom ZGD organisiert oder vermittelt. Als hochschulübergreifende Forschungseinrichtung in Hamburg dokumentiert das Zentrum Lehr- und Lernveranstaltungen zu Gender- und Queer-Studies und fasst diese in einem sogenannten Tableau zusammen. Dieses Lehrtableau ermöglicht Studierenden, Veranstaltungen interdisziplinär und hochschulübergreifend zu besuchen, was nicht nur im freien Wahlbereich anrechenbar ist, sondern überdies eine Zertifikation in bestimmten Kompetenzbereichen ermöglicht. Prominent zu nennen ist hier die Veranstaltungsreihe Jenseits der Geschlechtergrenzen, welche ebenfalls als Bestandteil des Zertifikates anerkannt werden kann.
#metoo, Cancel Culture und Antifeminsimus – Gender in aktuellen Debatten
Während das ZDG sich also schon seit über 3 Jahrzehnten mit geschlechtsspezifischer Ungleichheit beschäftigt, ist aktuell eine zunehmende Polarisierung hiervon im öffentlichen Raum zu beobachten. So etwa durch #metoo oder aktuell anhand von Debatten um Cancel Culture, also der Frage, ob Menschen aus öffentlichen Kontexten ausgeschlossen werden sollten, die sich übergriffig oder/und diskriminierend verhalten haben. Hierbei zeichnet sich immer wieder ab: Gender Studies sind umkämpft. Gegner:innen versuchen, der Forschungsdisziplin ihre Wissenschaftlichkeit und Berechtigung abzusprechen. Die selbsternannten Kritiker:innen der Gender Studies sind dabei oftmals motiviert durch den Wunsch nach der Aufrechterhaltung einer Ordnung, die eine strukturell diskriminierende Rollenverteilungen als natürlich markiert. Dazu zählen beispielsweise die Einteilung in exakt zwei, voneinander klar abgrenzbare Geschlechter (Mann und Frau), und wobei die Frau oft als untergeordnet angesehen wird. Sowohl Geschlechtsidentitäten als auch Beziehungsformen, die der heterosexuellen Paarbeziehung nicht entsprechen, werden enorm abgewertet. Da sich die Erkenntnisse der Gender Studies primär einer sozial- und geisteswissenschaftlichen Herleitung bedienen, glauben die Gegner:innen ihnen Unwissenschaftlichkeit nachweisen zu können. Die Argumentation basiert auf der Annahme, dass biologisch nur zwei Geschlechter existieren würden. Andere Interpretationen von Biologie und Gender werden dementsprechend außenvor gelassen. Dadurch soll festgelegt werden, welches Wissen richtig beziehungsweise wichtig und welches falsch beziehungsweise unwichtig ist, um den klassischen Geschlechterrollen unhinterfragte Gültigkeit zu verleihen. Dementsprechend kann die Ablehnung von Gender Studies als Angriff auf die Freiheit der Forschung und auf spezifische Wissenschaftsprinzipien, sowie kritische Ansätze der Sozial- und Geisteswissenschaften gewertet werden. Die Kritik lässt sich häufig in antifeministische Tendenzen einordnen. Antifeminismus – oder hier spezifischer: Antigenderismus – einen wesentlichen Bestandteil rechtsextremer und rechtspopulistischer, aber auch religiös-fundamentalistischer Ideologien. Dieser Antifeminismus geht zumeist mit Antisemitismus und Rassismus einher, wobei Gender Studies häufig als sogenannten „Gender-Wahn“, „Gender Gaga“ oder auch „Gender-Ideologie“ verunglimpft werden. Vor dem Hintergrund des aktuellen globalen Rechtsruckes nehmen Tendenzen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu und auch die Ablehnung von Gender Studies fällt auf fruchtbaren Boden. So strich beispielsweise Ende 2018 Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán die Gender Studies aus der Liste der zugelassenen Studiengänge. Ressentiments gegen Gender Studies sind allerdings nicht nur anhand von Verboten wahrnehmbar, vielmehr werden sie auch in subtileren Strategien deutlich. So funktioniert Antigenderismus etwa als Verbindungsglied zwischen dem Rechtspopulismus und dem konservativen Lager der bürgerlichen Mitte, da der Einsatz für sexuelle Vielfalt oft gleichermaßen abwertend belächelt wird. Um ein Beispiel zu nennen: Vergangenes Jahr machte die derzeitige CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer Schlagzeilen, als sie sich im Rahmen einer Karnevalssitzung über All-Gender-Toiletten lustig machte - diese Äußerungen kommen denen diverser Rechtspopulist:innen sehr nahe.
Zur Situation in Hamburg – Schwächung der Gender Studies und Gegenwehr
Diese politischen Konfliktlinie um Gender Studies spiegelt sich auch in Hamburg wider: Das Zentrum für Gender & Diversity ist häufiger Gegenstand gesellschaftlicher und parlamentarischer Auseinandersetzungen, da sowohl feministisch-progressive als auch konservative und rechte Stimmen Mitspracherecht auf die Wissensproduktion in Hamburg beanspruchen. Als Folge dessen blieb zwischen August 2019 und September 2020 die Leitungsstelle des Zentrums unbesetzt, wodurch wesentliche Tätigkeiten des Zentrums eingestellt werden mussten. Dieser Rückschlag reiht sich in eine allgemeine Schwächung des Wissenschaftszweigs der Gender- und Queer-Studies in Hamburg ein. So wurden beispielsweise in den letzten zehn Jahren 50% der Gender-Veranstaltungen hamburgweit eingestellt. Auch wurde der Master- und Nebenfachstudiengang Gender- und Queer-Studies, der einige Jahre lang bestand und großen Anklang fand, nicht fortgesetzt. Zu all diesen Kürzungen des Angebots erfolgte vonseiten der Politik und der Universität keine genaue Angabe von Gründen. Meist wurde mit Ressourcenknappheit argumentiert. Dazu kommt, dass viele Lehrveranstaltungen, die sich mit feministischen Theorien befassen, von den Hochschulen auf Lehraufträge ausgelagert worden sind. Im Kontrast zur klassisch wissenschaftlichen Anstellung hat dies für betreffende Lehrende ein unsicheres Arbeitsverhältnis, weniger Mittel zur Forschung & Publikation und meist weniger Lohn zur Folge.
Diesen Strategien der Prekarisierung von Gender-Forschung sowie einer befürchteten inhaltlichen Neoliberalisierung in Wissenschaft und Lehre stellt sich in Hamburg das Aktionsbündnis Queering Academia entgegen. Das in seiner Zusammensetzung breit aufgestellte Bündnis setzt sich für vertiefte Gender- und Queer Studies in Hamburg ein und kämpft für das ZGD als Forschungseinrichtung. Beispielsweise kritisierte Queering Academia die lang andauernde Zurückhaltung der Uni bei der Nachbesetzung der Leitungsstelle des ZGDs. Das Bündnis fordert den Hamburger Senat auf, deren progressiven Vorstößen realpolitische Konsequenzen folgen zu lassen. Daher sollte die Verstetigung von Gender Studies im Lehr- und Forschungsbetrieb insbesondere in Zeiten grassierender menschenverachtender Ideologien im Fokus politischer Vorhaben stehen.
Im Rahmen einer Stellungnahme wurde außerdem die Befürchtung geäußert, dass der Fokus des ZGD weg von Forschung und hin zu Diversity-Management gelegt würde, wodurch das Zentrum weniger autonom gestaltet wäre und sich mehr an staatlichen Institutionen und Unternehmensbedürfnissen ausrichten würde. Der Begriff Diversity-Management wird überwiegend in Personalstrukturen von öffentlichen Institutionen oder in der privaten Wirtschaft verwendet. Dabei geht es vorrangig darum, die Unternehmenskultur zu verbessern und durch eine diverse Gestaltung von Kollegium und Arbeitsumfeld die Produktivität zu steigern. Insofern ist Diversity-Management Teil einer neoliberalen Verwertungslogik, in der häufig alle als marginalisiert markierten Gruppen auf eine Kategorie reduziert werden. Differenzen werden dabei gemanagt, anstatt sie zu thematisieren, zu erforschen und im Sinne von Gleichberechtigung strukturell zu verbessern. Die neu eingesetzte Leiterin hat sich allerdings bereits an ihrem ersten Arbeitstag mit dem Bündnis in Verbindung gesetzt und tritt überdies für eine breitere studentische Beteiligung bei der zukünftigen Gestaltung des Zentrums ein.
Aufgrund der gesellschaftlichen Konfliktlinien um Gleichberechtigung und Aufklärung ist es von großer Bedeutung, sich für die kritischen Gender- und Queer-Studies einzusetzen. Daher ermutigen wir alle Interessierten an den bereichernden Erfahrungen teilzuhaben, die das Zentrum für Gender & Diversity bereithält. Dazu zählen Veranstaltungen, beratende oder offene Gespräche, die Nutzung der Bibliothek oder auch das Lehrtableau, welches auf der Webseite des ZDG (https://zgd-hamburg.de/) zu finden ist. Auch möchten wir einladen, sich den Instagram-Account des Aktionsbündnisses Queering Academia (@queeringacademia) anzuschauen, informiert zu bleiben, sich mit ihm zu vernetzten oder Treffen zu besuchen. Die Folge „21: Queering Academia“ des Podcasts Gedanken einer Sexfluencerin eröffnet ebenfalls tiefere Einblicke in die Thematik. Das Aktionsbündnis und das Zentrum für Gender & Diversity freuen sich auch Euch!