Kritik am hegemonialen Queerfeminismus // NC-UHH #1
17 March 2021, by Rosi Luxus
Wenn ich mit meinen Freund:innen über Feminismus diskutiere, fällt besonders schnell auf, dass sich die Freund:innen, die sich erst an der Universität mit dem Thema Feminismus beschäftigt haben, fast ausschließlich der Denkschule des Queerfeminismus angeschlossen haben. Ich habe mich mal gefragt, warum das so ist, wo es doch verschiedene Denkschulen des Feminismus gibt. Erstmal ist aber anzuführen, dass es progressiv ist, dass sich die Gender- und Queerforschung überhaupt in den letzten Jahren so stark an Universitäten etabliert hat, weil dadurch Fragen von Patriachat und Geschlecht in den Wissenschaften Platz gefunden haben und dies den gesamtgesellschaftlichen Diskurs über Geschlechterverhältnisse verändert hat.
Wenn man sich den Lehrplan von Gender-, Queer-, Geschlechter- oder Soziologiekursen anschaut, fällt auf, dass vor allem Theorien queerfeministischer Wissenschaftler:innen gelehrt werden. Über allem thront dabei die Philosophin Judith Butler. Im Folgenden soll keine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Werk Butlers vorgenommen werden, sondern mit vielen derer, die sich auf sie beziehen. Verfechter:innen des Queerfeminismus, ob akademisch oder eher aktivistisch, vertreten eine politische Organisierung, die maßgeblich von den Begriffen Butlers der Performanz, von Gender und Sex – also eine gleichsame Identitätsbildung anhand dieser zwei Kategogien – geprägt ist. Die verschiedenen Kategorien von sozialem und biologischem Geschlecht werden zu Identitäten. Es geht also nicht mehr um verbindende Momente der strukturellen Diskriminierung von als weiblich gelesenen Personen, bzw. Frauen durch das Patriarchat – sondern primär um die Stärkung der eigenen Identität. Meist wird dabei eine Identität gewählt, die ausdrücklich nicht der gesellschaftlichen Zuschreibung einer Frau entspricht. Diese Handlung folgt dieser Logik: Identifiziere ich mich nicht mehr als Frau, fühle ich mich durch Diskriminierung an Frauen nicht mehr betroffen. Schließlich generiert die Ablegung weiblicher Eigenschaften allgemeine Anerkennung. Dieser Rückzug in die eigene Identität ist ein sehr neoliberales Konzept. Jede:r zieht sich in seine oder ihre Komfortzone zurück, anstatt einfach komplett auf eine Benennung von Geschlecht oder Gender zu verzichten. Ein gesellschaftlicher Kampf um Gerechtigkeit bleibt deshalb aus.
Als Mittel des queerfeministischen Kampfes dient die Sprache. So gibt es mittlerweile viele verschiedene Arten zu gendern, um möglichst inklusiv zu sein und niemanden zu diskriminieren. Ohne Frage, Gendern ist eine super Sache, fraglich ist nur, warum es vielen Queerfeminist:innen so wichtig ist immer neue Identitäten zu erfinden und sich somit aber auch begrifflich wieder einzuengen. Falls sich Gesprächspartner:innen durch unsachgemäßen Sprachgebrauch verletzt fühlen, indem sie auf Grund von Bildung oder anderen Gründen nicht in der Lage sind Gender oder Sexualität richtig zu benennen, ist eine Diskussion häufig nicht mehr möglich. Der Versuch eine Gesellschaftskorrektur durch Sprache zu erreichen ist ein schöner Ansatz, greift aber vielfach zu kurz.
Aus der Betroffenheit, mit der im Queerfeminismus häufig argumentiert wird, resultiert, dass den individuellen Gefühlen von FLINT ein sehr hoher Stellenwert innerhalb einer gesellschaftlichen Analyse eingeräumt wird. Ohne Frage, Gefühle ernst zu nehmen ist wichtig und Gefühle prägen auch unsere politischen Einstellungen. Mit den Gefühlen individueller Menschen Politik zu machen, ist jedoch schlicht nicht möglich. Dann müsste man zum Beispiel auch die Ängste und Gefühle einer Abtreibungsgegnerin ernst nehmen. Das tun Feminist:innen jedoch nicht, da wir diese reaktionäre Forderung ablehnen. Und warum lehnen wir diese Forderung ab?! Weil wir ganz strömungsübergreifend eine Vorstellung von der Welt haben, in der alle Menschen emanzipiert leben dürfen. Dazu gehört auch, dass Frauen selbstbestimmt über ihren Körper entscheiden dürfen.
Im Queerfeminismus geht es somit (verkürzt) lediglich um die Kritik an der Betroffenheit von Individuen. Führen wir mal an einem Beispiel aus, was damit gemeint ist: Wenn ein Mann zu viel Raum in einer Diskussion einnimmt, würde er dafür berechtigterweise kritisiert werden. Aus einer materialistischen Perspektive macht es jedoch Sinn bei einer Kritik am individuellen Verhalten nicht stehen zu bleiben, sondern sich mit der Frage zu beschäftigen, warum viele Männer so viel mehr Raum einnehmen als Frauen. Man würde wahrscheinlich auf die Antwort stoßen, dass dieses Verhalten etwas mit der Sozialisierung in unserer Gesellschaft und der gesellschaftlichen Teilung in produktive und reproduktive Arbeit zu tun hat. Als produktive Arbeit wird Arbeit verstanden, die unmittelbaren Wert für den Kapitalismus generiert, also die Tätigkeit der klassischen Lohnarbeit. Mit reproduktiver Arbeit ist die Arbeit gemeint, die nötig ist, um die Arbeitskraft der produktiven Arbeit wiederherzustellen, also Kochen, Kindergebären, Kinder erziehen usw. Da Männer sich in der Konkurrenz der Lohnarbeit bewähren sollen, wird ihnen nahegelegt, im persönlichen Umgang, zum Beispiel in Diskussionen, entschiedener und Raum einnehmender aufzutreten. Aufgrund dessen ergibt sich aus einem materialistischen Ansatz eine Untrennbarkeit von kapitalistischer Produktionsweise und patriarchalem Geschlechterverhältnis. Es macht also durchaus Sinn, sich mit einer systemischen Analyse der materiellen Verhältnisse zu beschäftigen. Es gibt gesellschaftliche Verhältnisse, die es zu verändern gilt. Um diese erkennen zu können, braucht man jedoch insgesamt ein materialistisches Verständnis. Das lässt sich unterer anderem gut mit einem Zitat von Karl Marx beschreiben: „Nicht das Bewusstsein bestimmt das Sein, sondern das Sein das Bewusstsein.“ Soll heißen, unsere Lebensumstände bestimmen unser Bewusstsein und diese Lebensumstände sind auch kollektiv erfahrbar und real. Eine solche Analyse hat aber zur Folge, dass die gesamten Produktionsverhältnisse verändert werden müssen, um gleichwertige Lebensbedingungen für alle zu erreichen und das Patriarchat abzuschaffen. Leider gilt der dialektische Materialismus an den meisten Universitäten als überholt. Grund dafür war, dass sich der Poststrukturalismus als vermeintlich „linke“ Alternative anbot, nachdem der Marxismus spätestens nach 1989 als diskreditiert galt. Der Aufstieg des Queerfeminismus, als Teil des Poststrukturalismus, erfolgte zeitgleich mit einer durchgeführten neoliberalen Bildungsreform. Es scheint also nicht verwunderlich, dass Studierende innerhalb der Bologna-Reform fast ausschließlich an poststrukturalistischen Theorien interessiert sind, wenn sie alternative Denkschulen überhaupt nicht kennenlernen und ihnen dadurch materialistische Denkmuster nahezu fremd sind. Diese sind jedoch notwendig, um den Feminismus mit all seine Facetten durchdenken zu können.
Es wäre deshalb progressiv und auch in einem wissenschaftlichen Interesse, sich gleichwertig auch mit Ansätzen und Theoretiker:innen wie Roswitha Scholz oder Silvia Federici zu beschäftigen.
Also liebe Feminist:innen, bleibt eurem Grundsatz des kritischen Hinterfragens treu und traut euch mal an andere feministische Literatur! Als einführende Werke empfehle ich „materializing feminism“, u.a herausgeben von Lisa Yashodhara Haller und „Feministisch Streiten“, u.a. herausgegeben von Koschka Linkerhand.