Kolumne Arbeit und Kultur // NC-UHH #1
13 March 2021, by Tosca und Anton
Arme Papageien
Es ist ein Allgemeinplatz linker Analyse und Theorie, dass Kultur immer eine politische Dimension hat. Im Folgenden möchten wir uns ein Stück dieser (Pop-)Kultur genauer ansehen, um über dessen gesellschaftspolitischen und ästhetischen Implikationen kritisch zu reflektieren und wild drauf los zu assoziieren (angehende Geisteswissenschaftler eben...): Für diesen Beitrag haben wir uns, Anton und Tosca, getroffen und die erste Episode von „Die Drei ???“ angehört. Die Hörspielreihe, die seit Ende der 1970er produziert wird, erfreut sich sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch bei Erwachsenen großer Beliebtheit. Wie viel das mit Nostalgie zu tun hat, ist fraglich. Während das Hörspiel Anton noch aus seiner Kindheit in Erinnerung ist, beschäftigt sich Tosca zum ersten Mal mit den Geschichten um Justus, Peter und Bob. Dementsprechend kann sie sich dem Thema aus einer distanzierteren Perspektive widmen, während Anton, ganz Vatermörder, seine Kindheitshelden einfach nur brennen sehen will.
In dem ersten Drei ??? Hörspiel, das den Namen „Der Super-Papagei“ trägt, werden die Protagonisten Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews damit beauftragt einen verschwundenen Papageien zu finden. Ein MacGuffin, wie sich im Verlauf der Folge herausstellt, da es noch eine Reihe weitere Papageien gibt, die als lebende Schatzkarte zu einem verschwundenen Gemälde führen sollen. Doch natürlich sind Justus, Peter und Bob nicht die einzigen, die versuchen den Schatz mithilfe der Papageien zu bergen und treffen schnell auf Gegenspieler. Im Laufe ihrer Ermittlungen geraten sie mehrmals mit dem skrupellosen Eigentümer des Gemäldes Mr. Claudius aneinander und schließlich kommt sogar ihr zukünftiger Erzrivale Victor Hugenay zu seinem ersten Auftritt.
Erste Impressionen
Beim ersten Hören der Folge schrieb ich mir, Tosca, bei der Charakterisierung der Jungen „nervig“ auf. In großen Teilen der Erzählung erinnern sie an junge Prinzen oder Adlige, an Kinder, die in einen Anzug gesteckt werden und sich gut benehmen müssen, etwa wenn sie dem Chauffeur ganz selbstverständlich Anweisungen geben oder Latein aus dem Stehgreif übersetzten – irgendwie unangenehm. Der eine Aspekt, dass Kinder superklug und superbelesen sind, scheint ein einleuchtender Charakterzug für Figuren der Kinder- und Jugendliteratur zu sein. So können den jungen Lesenden subtil, auf suggerierter Augenhöhe neue Information vermittelt werden. Aber warum mögen Erwachsene diese altklugen Kinder? Schließlich geht so jeder Spaß am Eskapismus in eine kindliche Welt ohne viel Verantwortung und der Freiheit, bestimmten sozialen Konventionen und Sachzwängen noch nicht gehorchen zu müssen, verloren. Warum hören sich Erwachsene Geschichten von erwachsenen Jugendlichen anstatt von jugendlich gebliebenen oder erwachsenen Erwachsenen an? Woher kommt die seltsame Faszination für adrette Kinder ohne Kindlichkeit beziehungsweise Jugendlichen ohne Jugendlichkeit?
Die fragwürdigen Prioritäten der Drei ??? und der toxische Claudius
Trotz der merkwürdigen Charakterisierung der Hauptfiguren beginnt der Plot vielversprechend: Justus und Peter hören einen Hilferuf und noch bevor sie, die sich offenbar in Not befindende Person suchen, stellt Peter die Frage, ob der Hilferuf von einem Mann oder einer Frau getätigt worden sei. Justus weist ihn darauf hin, dass neben Männern und Frauen durchaus noch weitere mögliche Urheber:innen des Hilferufes in Frage kämen und schafft so gleich zu Beginn des über 40 Jahre alten Hörspiels so etwas wie einen queeren Moment. Die Autor:innen der Folge wollten hier wohl auf die titelgebenden Papageien anspielen, doch der am politisch korrekten Diskurs geschulten Hörerin wird der Isomorphismus von Justus Denkweise und dem (post-)modernen Anspruch die gesellschaftliche Realität medial abzubilden nicht entgehen. Das in diesem kurzen Dialog liegende Potential wird - wenig überraschend - nicht weiter ausgeschöpft und die Identität der rufenden Figur spielt keine Rolle für den Verlauf der Handlung. Stattdessen taucht Mr. Claudius auf, der über weite Teile der Folge als Antagonist fungiert. „Der dicke Mann“, wie Claudius über weite Teile der Folge bezeichnet wird, ist auf der Suche nach den Papageien, die ihm das Versteck des Gemäldes preisgeben sollen.
Zu diesem Zweck geht er zwar nicht über Leichen, doch stiftet seine Frau gegen ihren Willen zu Drohanrufen bei den Drei ??? an, nimmt einen Mann gefangen und greift einen Herzkranken tätlich an. Trotzdem arbeiten Justus, Peter und Bob ohne Bedenken mit ihm zusammen sobald sie erfahren haben, dass der gesuchte Schatz, ein Bild ist, dass Mr. Claudius vor einiger Zeit gestohlen wurde. Als dieser per Urkunde nachweist, dass ihm das Bild tatsächlich rechtmäßig gehört, sind alle zuvor durch ihn begangenen Übergriffe vergessen. Auch Mrs. Claudius entschuldigt ihren Mann. Sie erwähnt, dass er manchmal "ein wenig grob“ sei und deutet an, dass sie erfolglos versucht hat ihn zu einem weniger brutalen Vorgehen zu bewegen. Die Vermutung, dass es nicht das erste Mal ist, dass Mr. Claudius zu Gewalt greift, um seine Ziele zu erreichen liegt nahe. Ob sich diese in häuslicher Form auch schon gegen Mrs. Claudius gewendet hat, wird weder explizit angesprochen noch bewusst negiert. Wieso auch? Schließlich war es in der Bundesrepublik der 70er Jahre nicht verboten seine Ehefrau zu vergewaltigen. Sie zu einem Drohanruf bei Kindern zu nötigen erscheint dagegen wie ein Kavaliersdelikt.
Es stellt sich also heraus, dass es mit Justus Jonas Aussage, dass die Drei ??? ermitteln, weil sie an der „Wahrheit“ interessiert seien, nicht besonders weit her sein kann. Zwar geben sie das am Ende erhaltene Geld an den prekär lebenden Carlos und seinen Onkel, der von Mr. Claudius angegriffen wurde, doch dreht sich ihr aufklärerisches Interesse nicht um den Tathergang körperlicher Übergriffe, sondern lediglich um das zurückholen materieller Gegenstände und deren Überführung an den Eigentümer.
Gute Kapitalanlagen
Interessant an dem gestohlenen Gemälde ist, dass es nicht interessant ist: Das Motiv sowie der künstlerische, kulturelle, historische oder sentimentale Wert sind unerheblich in der Detektivgeschichte. Stattdessen wird die Kunst auf das reduziert, was sie letztlich auch ist - Eigentum, eine Kapitalanlage des Mr. Claudius. Im Grunde hätte Claudius auch Bargeld, Apple-Aktien oder Goldbaren gestohlen werden können. Aber es war nun mal ein Gemälde; irgendwie scheint ein gestohlenes Gemälde als Motiv auch charmanter, kultivierter und geheimnisvoller.
Die Moral der Geschichte: Stehlen ist falsch! Wer versucht sich den Besitz eines anderen anzueignen, der schaut am Ende in die Röhre. Das gilt in der kapitalistischen Realität ebenso wie für Kunstdiebe aus dem fiktiven Rocky Beach des Drei ???-Universums. In Kombination mit einer vollständigen Ausblendung für die soziale Situation, die Diebe erst zu solchen macht, agieren die drei im Grunde wie Ladendetektive. Sie vermitteln ein Gerechtigkeitsverständnis, das von dem Gedanken ausgeht, dass die Dinge in der Gesellschaft im Grunde schon am richtigen Platz seien. Wie ein Freizeitpark wird Rocky Beach in thematische Abteilungen gegliedert. Es gibt den Schrottplatz, den Friedhof und eine klare räumliche Trennung von armen und reichen Vierteln. In jedem abgesteckten Bereich wartet ein neues Abenteuer, dass für drei weiße reiche Jungen mit Rolls Royce letztlich harmlos ist, doch in dem die stets hilfreichen Bewohner:innen, ihren prekären Schicksalen überlassen werden. Gut ist, wenn alles bleibt wie und vor allem wo es ist, Verbrechen ist nur, wenn sich etwas verändert, außer du bezahlst dafür. Am Ende gibt es Almosen für die Armen.
Unbekannte, ungelöste Klassenkämpfe und maskuline Vorkommnisse.
Nicht unerwähnt sollen die rassistischen und klassistischen Stereotype bleiben: Begegnen die Drei ??? doch mal Personen ohne materiellen Besitz, wie dem jungen Carlos und seinem Onkel, dann sprechen diese mit starken Akzenten und haben keinen größeren Wunsch als einmal mit einem goldenen Rolls-Royce zu fahren. Der aus Frankreich stammende Kunstdieb Victor Hugenay dagegen spricht völlig ohne Akzent. Schließlich ist er ein weißer, gebildeter Europäer.
Auch andere Nebenfiguren wie der Frau von Claudius wird in der Geschichte nicht viel zugestanden. Justus, Peter und Bob agieren scheinbar im luftleeren Raum, in dem Einzelschicksale keine Rolle spiele, und Geld nur als Tatmotiv relevant ist. Das gipfelt in einer perfiden Täter-Opfer-Umkehr. Die Drei ??? arbeiten mit dem gewalttätigen Mr. Claudius zusammen und sehen in ihm das eigentliche Opfer des Falles. So bleiben die Verbrechen, die er begeht, unaufgeklärt. Justus, Peter und Bob verhalten sich wie Freunde von übergriffigen Personen, die deren verhalten zwar nicht gutheißen, aber davon absehen die Täter:innen zu konfrontieren. Schließlich hat Mr. Claudius jeden Grund wütend zu sein und ist doch eigentlich ein gutherziger Kerl. Nicht wahr? Es ist keine Überraschung, dass ein Kinderhörspiel eher selten brutale Mordfälle oder Missbräuche verhandelt. Doch etwas mehr Sensibilität in Bezug auf Gewalterfahrungen und Verteilungsgerechtigkeit sollte Jungen, die außerhalb binärgeschlechtlicher Kategorien denken und Latein sprechen, eigentlich zugestanden sein.
Es bleibt zu wünschen, dass die Fälle der Drei ??? in Zukunft ohne rassistische Darstellung von Akzenten auskommen, die Motive ihrer Auftraggeber:innen hinterfragen und nicht permanent den Eindruck erwecken, das Leben der handelnden Nebenfiguren ginge sie gar nichts an. Bis dahin muss, wer sich eine kritische Auseinandersetzung mit Autoritäten wünscht, Bibi Blocksberg hören.