Die Universität dem Kapital entreißen // NC-UHH #2
9 February 2022, by Marxistische Studierende Hamburg
In der letzten Ausgabe der »New Critique« veröffentlicht Armin Mandelzweig seinen Artikel »Die Universität des Kapitals«1, in dem er aufzeigt, dass Universitäten nicht im Gegensatz zum Profitstreben der kapitalistischen Wirtschaft stehen, sondern integraler Bestandteil der herrschenden Verhältnisse sind. Der Artikel richtet sich gegen die Behauptung, dass, wenn die Universitäten mehr Geld zur Verfügung hätten, diese eine kritische Wissenschaft betreiben würden. Eine bessere Finanzierung der Universitäten erscheint in der kritisierten Vorstellung fast schon wie ein Schritt in Richtung einer besseren Gesellschaft. Sehr richtig stellt Armin dar, dass die Universität von sich aus keine kritischen Geister erzeugt, sondern sogar ideologisch den Kapitalismus verteidigt. In diesem Sinne stimmen wir zu, dass eine kritische Wissenschaft heutzutage vor allem außerhalb des universitären Lehrplans betrieben werden muss.
Der Marxismus ist genau solch eine kritische Wissenschaft. Er ist aber nicht nur ein Theoriegebäude, mit dem man sich die Welt kritisch anschauen kann, sondern auch eine Anleitung zum Handeln. Der Schwerpunkt in Armin Mandelzweigs Artikel liegt vor allem auf Theorie, aber einen Vorschlag für eine konkrete Praxis vermissen wir schmerzlich. Als einzige positive Handlungsanweisung wird das Organisieren von Diskussionsveranstaltungen und Lesekreisen genannt. Hier solle man lieber mehr Energie reinstecken, als diese bei Demonstrationen gegen die Unterfinanzierung von Universitäten zu verschwenden.
Der Schwerpunkt in Armin Mandelzweigs Artikel liegt vor allem auf Theorie, aber einen Vorschlag für eine konkrete Praxis vermissen wir schmerzlich. Hier wird der innere Zusammenhang von Theorie und Praxis auseinandergerissen. Die Kritik des Bestehenden überwiegt völlig und es bleibt unklar, wie wir die Misere denn nun überwinden. Der Kampf für bessere Lebensverhältnisse — und dazu gehören bessere Studienbedingungen — sollte für Marxisten keine sekundäre Rolle spielen. Dieser Kampf ist die Praxis, wie wir Menschen von der Notwendigkeit des Kampfes für den Sozialismus überzeugen. Man muss im praktischen Kampf mitwirken und die Menschen von der »Überlegenheit« der eigenen Theorie überzeugen, indem sie sich in der Praxis als »überlegen« herausstellen. Unsere Aufgabe als Marxisten ist es, wie Lenin es einmal formulierte, dass »die Leute, die eigentlich nur mit den Zuständen an der Universität [...] unzufrieden sind, auf den Gedanken von der Untauglichkeit des gesamten politischen Regimes gestoßen werden«.2 Wo wir hinzufügen würden, dass sie auf die Untauglichkeit des Kapitalismus zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse gestoßen werden müssen. Dafür brauchen wir ein »positives Aktionsprogramm« und keine reine negative Kritik.
Die Auseinandersetzung um eine gut finanzierte Universität ist Ausgangspunkt für die gemeinsame Organisierung von Beschäftigten und Studierenden, wie dies auch die Demonstration im Juni »Stop the Cuts« zeigte, die die verschiedenen Forderungen der Fachschaftsräte, der studentischen Beschäftigten und des sogenannten universitären Mittelbaus vereinigte. Es ist der Startpunkt für viele Studierende, um zu diskutieren, wie eine Bildung in ihrem Interesse aussehen sollte und vor allem wie der Kampf darum zu gewinnen ist. Erst hier kommt die ganze Tragweite der marxistischen Theorie ins Spiel. Um ihre Forderungen durchzusetzen, müssen sich studentische Proteste mit denen der Arbeiterklasse verbinden, weil nur Letztere die Macht besitzt, die Gesellschaft zu verändern. Nichts passiert ohne die freundliche Zustimmung der Arbeiterklasse, wie beispielsweise der französische Generalstreik 1968 zeigte.3 Die Geschichte zeigt aber ebenso, dass ohne eine revolutionäre Führung auch die größte spontane Massenbewegung an ihre Grenzen stößt. Der Marxismus systematisiert und analysiert die Erfahrungen der Arbeiterbewegungen auf der ganzen Welt und wird damit zur Waffe in der Hand der Arbeiterklasse, um die Welt zu verändern. Der Marxismus systematisiert und analysiert die Erfahrungen der Arbeiterbewegungen auf der ganzen Welt und wird damit zur Waffe in der Hand der Arbeiterklasse, um die Welt zu verändern.
Überall finden Studierende, sowie universitäre Beschäftigte, die gleichen Probleme vor: Lohnkürzungen, Stellenabbau, Austerität usw. Nur im gemeinsamen Kampf können sie dem begegnen und sich ihrer eigenen Stärke bewusst werden. Die Coronapandemie ist ein Brennglas, welches die Widersprüche und Missstände in diesem System besonders hervorstechen lässt. Viele Studierende haben ihren Nebenjob verloren und mussten teilweise zurück zu ihren Eltern ziehen. Die Mieten in Hamburg steigen rasant weiter, während in Berlin der Mietendeckel vom Bundesverfassungsgericht gestürzt wird. Die Onlinevorlesungen und Seminare sind für Lernende sowie Lehrende gleichermaßen anstrengend. Von der mentalen Situation vieler Menschen wollen wir gar nicht erst sprechen. Ein Shutdown von allen nicht notwendigen Betrieben mit Lohnfortzahlung hätte die enormen Ausmaße der Corona-Wellen verhindern können. Mindestens aber hätte es in allen größeren Unternehmen und Institutionen wie den Universitäten ein Komitee — bestehend aus der Belegschaft — gebraucht, das die gesundheitliche Unversehrtheit aller Beschäftigten sicherstellt. Die Kapitalisten fürchteten jedoch um ihre Profite und nahmen den Tod sowie die prekäre Lage vieler Menschen in Kauf.
Dass die Arbeiterklasse als ein Ganzes kämpfen muss und dass sie auf der einen Seite steht und auf der anderen Seite die Kapitalistenklasse, das wird den meisten Menschen nicht durch einen Theorietext vermittelt werden, sondern erst im Kampf für bessere Lebensbedingungen bewusst werden. Stellt man sich als Marxist abseits von sogenannten reformistischen Bewegungen, dann überlässt man tatsächlich den reformistischen Führern das Feld. Jeder kann laut schreien, dass die reformistischen Führer keine Revolutionäre sind, aber als Marxisten müssen wir beweisen, dass unser Programm das Bessere ist. Es mangelt eben nicht an Menschen, die ihre Umstände satthaben und etwas ändern wollen. Es mangelt an einer revolutionären Massenorganisation, die der Arbeiterklasse einen Weg aufzeigen kann, hin zu einer besseren Gesellschaft. Diese Organisation entsteht nicht am Studier-Schreibtisch, sondern im Kampf, bewaffnet mit einem revolutionären Programm basierend auf marxistischen Ideen. Stellt man sich als Marxist abseits von sogenannten reformistischen Bewegungen, dann überlässt man tatsächlich den reformistischen Führern das Feld.
Durch die Coronapandemie werden von staatlicher Seite rund 650 Milliarden Euro neue Schulden bis zum Jahr 2022 aufgenommen.4 In der nächsten Periode wird es darum gehen, wer diese Schulden bezahlen wird. D.h. wir müssen mit Angriffen auf die Arbeiterklasse und ihre bitter erkämpften sozialen Errungenschaften, wie beispielsweise die Rentenversicherung, von Seiten der Kapitalisten rechnen. Insbesondere ver.di und die GEW müssen sich auf kommende Versuche der Kapitalisten, am Bildungssystem zu sparen, vorbereiten und ihre Basis sowie die Studentenschaft zu einem Gegenangriff mobilisieren. Dies geht nur, wenn ihr Programm ihren reinen defensiven Charakter hinter sich lässt und sie stattdessen radikale Forderungen aufstellen. Diese Bewegung darf nicht isoliert an einigen Universitäten und Bildungseinrichtungen stattfinden, sondern muss sogar über das Bildungssystem hinausreichen. Dafür müssen die Gewerkschaften ver.di und GEW sowie die LINKE Massenstreiks organisieren.
Es reicht nicht den Hamburger Senat lediglich aufzufordern eine ausreichende Finanzierung der Universität sicherzustellen.5 Das Bildungswesen gehört vollständig in die öffentliche Hand. Aber uns muss bewusst sein, dass der bürgerliche Staat letztlich die Interessen der Reichen vertritt. Deswegen brauchen wir eine demokratische Kontrolle des Bildungswesens durch Komitees von gewählten Vertretern der Lehrenden, der Studierenden und des Personals der Universitäten sowie der Gewerkschaften. Es braucht eine Ausbildungs- und Einstellungsoffensive für mehr qualifiziertes Lehrpersonal, um alle Studierende ihren Bedürfnissen entsprechend zu fördern, aber auch um das Ansteckungsrisiko in einer erneuten Coronawelle durch kleinere Lerngruppen zu minimieren. Zu einem wirklich offenen Bildungssystem gehört auch ein kostenloser und gut ausgebauter Personennahverkehr. Der Mangel an Räumen für die Lehre sowie des studentischen Lebens kann durch die Beschlagnahmung von zusätzlichen Räumen beseitigt werden. Dafür muss der Leerstand von Gewerbeimmobilien zentral erfasst werden und die in Frage kommenden Gebäude entschädigungslos bereitgestellt werden. Die anfallenden Kosten für ein besseres Bildungssystem müssen von den Profiten der Kapitalisten bezahlt werden.
Letztlich bleibt das grundlegende Hindernis für eine Bildung im Interesse der Menschen der Profitzwang und das Privateigentum des Kapitalismus, wie Armin Mandelzweig in seinem Artikel ausführlich dargestellt hat. Nur der Sozialismus bietet eine wirkliche Lösung für dieses Problem. Erst hier wären die Universitäten unter einer wirklichen demokratischen Kontrolle und Wissenschaft könnte zum ersten Mal in der Geschichte im Dienste der Menschheit stehen und nicht bloß einer spezifischen Klasse. Dass dies dringend nötig ist, ist mittlerweile den meisten klar, im Anbetracht einer sich immer rasanter zuspitzenden Klimakrise. Um die vielseitigen Probleme anzugehen, die auch im Sozialismus nicht auf einen Schlag fort sind, braucht es eine allseitig ausgebildete Menschheit. Die Kürzungen an den verschiedenen Fachbereichen sowie schlecht bezahlte universitäre Beschäftigte stehen dem diametral gegenüber.
Der Marxismus ist die wissenschaftliche Methode, um die Welt zu verstehen und um sie zu verändern. Diskussionsveranstaltungen und Lesekreise sind ein wichtiger Bestandteil, um sich dieser Theorie anzunähern. Ohne praktischen Gebrauch in sozialen Kämpfen, bleibt sie jedoch steril und erscheint als bloße Kommentatorin vom Rande des Geschehens. Frei nach Engels: »The proof of the pudding is in the eating«. Deswegen müssen wir für eine bessere Finanzierung der Universitäten kämpfen und uns auf eine sozialistische Revolution vorbereiten. D.h. Marxist werden und einer revolutionären Organisation beitreten!
[1] Armin Mandelzweig: Die Universität des Kapitals. Über die Frage, wem Universitäten dienen. New Critique #1. April 2021. Online lesen unter: https://lmy.de/paUa4
[2] Lenin, Wladimir I.: Was tun? In: Lenin Werke, Band 5. Berlin 1955. S. 442
[3] Mehr dazu: https://www.marxist.com/french-revolution-may-1968-part-one.htm
[4] Tagesschau vom 13.04.2021 »Wie die Schulden loswerden?« auf https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/schuldenberg-schulden-corona-tilgung-schuldenbremse-101.html
[5] vgl. »#stopthecuts: Mehr statt weniger!« auf https://www.asta.uni-hamburg.de/1-aktuelles/01-asta-news/2021-05-20-demo-stop-the-cuts.html