Kolumne: Arbeit & Kultur III // NC-UHH #3Rezension zu "Amerikas Gotteskrieger - Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet."
10 May 2023, by Tosca & Anton
Die Journalistin Annika Brockschmidt hat ein Buch über religiöse Rechte in den USA geschrieben. Mithilfe von Zahlen, Daten und Fakten zeichnet sie das Bild einer dystopischen Gesellschaft. Doch leider verpasst sie die Gelegenheit einer kritischen Analyse, weil sie die Phänomene, die sie beschreibt, nicht in einen systematischen Kontext stellt. So fehlt ihrer Analyse nicht nur das grundlegende Problem, sondern auch die Möglichkeit, es zu lösen.
Failed State USA
Washington, das Herz der Macht in den USA, wird von rechten und religiösen Politiker:innen geleitet, die faschistischen Ideen nacheifern.1 Eine nach Hitlers Idealen geführte Geheimorganisation gläubiger Christen namens „The Family“ schmiedet Bündnisse zwischen US-amerikanischen Abgeordneten und Diktatoren aus aller Welt. Evangelikale Christ:innen rufen im Fernsehen zum bewaffneten Kampf gegen Ungläubige auf und die Republikanische Partei arbeitet daran, Gesetze in Bundesstaaten zu verändern, damit sie den nächsten Präsidenten stellen kann, ohne über eine Mehrheit zu verfügen.2 Annika Brockschmidt reiht Tatsachen dieser Art aneinander, um nachzuweisen, dass die bürgerliche Demokratie in den USA in Gefahr ist. Ein Bund aus Neoliberalen und christlichen Fundamentalist:innen hat sich zusammengerottet, um die Macht im Land zu übernehmen und Minderheiten zu terrorisieren. Brockschmidts Recherchen bestätigen, was wiederkehrende Berichte von rassistischer Gewalt durch Polizist:innen, rechten Terroranschlägen in Schulen und queerfeindlichen Massakern andeuten: Die USA sind – gemessen an Menschlichkeit und Vernunft - ein gescheiterter Staat.
Making a list and checking it twice
„Amerikas Gotteskrieger“ ist das Nachschlagewerk, in dem sich Leser:innen informieren können, welche politischen und medialen Akteur:innen in den letzten Jahren besonders naughty or nice gewesen sind. Brockschmidt bildet dabei ab, wie die republikanische Partei in den letzten Jahrzehnten zum politischen Arm des US-amerikanischen Klerikalfaschismus geworden ist. Doch ihre Analyse, dass dieser Entwicklung ursprünglich rassistische Motive zugrunde liegen,3 ist fragwürdig: bitten Sie eine liberale Expertin darum zu erklären, warum Wähler:innen der Republikanischen Partei, Evangelikale und Abtreibungsgegner:innen sich für demokratiefeindliche und menschenverachtende Politik einsetzen, so wird sie sagen, dass nur der Rassismus daran schuld ist.4 Das erkannte der amerikanische Publizist Thomas Frank bereits 2004. Dagegen hält er, dass nicht der Rassismus, sondern der Antiintellektualismus der ideologische Kit ist, der die verschiedenen Akteur:innen des US-amerikanischen Faschismus verbindet: “Jeder Aspekt des Backlash-Albtraums [wie Frank diesen Zusammenschluss nennt] weist in dieselbe Richtung. Überhebliche Akademiker, die den ungewaschenen und ungebildeten Pöbel verachten, zwingen ihre fachmännischen (das heißt liberalen) Ansichten einer Welt auf, die darauf nicht reagieren darf.”5 Die von Annika Brockschmidt beschriebene religiöse Rechte richtet sich laut Frank gegen eine als künstlich wahrgenommene vermeintlich elitäre Kultur, die in Wahrheit nicht existiert: “Worunter wir leiden, ist nicht das Joch einer Abstraktion wie der Marktkräfte, sind nicht Menschen aus Fleisch und Blut wie Chefs oder Eigentümer. Nein, es sind die Intellektuellen, die das Sagen haben, Leute mit Studienabschlüssen und Karrieren im Staatsdienst, in der Welt der Wissenschaft, des Rechts und der akademischen Berufe.”6 Diese Wahnvorstellung, von einer kleinen liberalen Elite knüpft an die antisemitische Verschwörungserzählung vom Kulturmarxismus an, die seit dem Kalten Krieg zum Jargon der US-Republikaner:innen gehört. Rechte Kulturpolitik läuft im Kern auf Gegenaufklärung hinaus, in die Antikommunismus und Antisemitismus ebenso eingepreist sind wie Rassismus, Sexismus, Esoterik und Nationalismus. Der Backlash ist ein Instrument, das systemkritische Impulse auf falsche Ziele umlenkt und dadurch entschärft.
Die alte Leier
Der Analyse von Brockschmidt liegt eine Überhöhung der Gegensätze zwischen Faschismus und bürgerlichem Liberalismus zugrunde. Es stimmt, dass diese Lager sich in kulturellen und moralischen Fragen nicht einig und häufig auch verfeindet sind, doch zur Wahrheit gehört, dass sie in wirtschaftspolitischer Hinsicht (beispielsweise Republikaner:innen und Demokrat:innen) nahezu identisch sind. Liest man „Amerikas Gotteskrieger“, so gewinnt man den Eindruck, dass man sich nur auf die Seite der liberalen oder die der konservativen Kapitalist:innen stellen kann: “(...) die wichtigste Übereinstimmung zwischen dem Backlash und der Mainstream Kultur besteht darin, dass beide es ablehnen, kritisch über den Kapitalismus nachzudenken.”7 Der Kapitalismus als ökonomisches System wird auf diese Weise naturalisiert. Der Backlash wird von der herrschenden Klasse instrumentalisiert, um politische Debatten über jeden noch so kleinen kulturellen oder politischen Fortschritt zu führen und damit von dem Wirtschaftssystem abzulenken, das die meisten Menschen täglich ärmer und kränker macht. Kritik am ohnehin Bestehenden wird ewig aufgeschoben, solange sie nicht die wirtschaftlichen Grundlagen von all dem in Frage stellen, dürfen alle ihrer Wut und ihren autoritären Impulsen freien Lauf lassen: „Die Ausblendung des Wirtschaftlichen ist eine notwendige Vorbedingung der meisten reaktionären Ideen. (...) Dass die Konservativen die Ökonomie als einen Bereich abtrennen können, der mit der Politik überhaupt nichts zu tun hat, ist nur dadurch möglich, dass dieselben Nachrichtenmedien, über deren ,liberale Voreingenommenheit' sie so gerne herziehen, genau diese Abtrennung seit langem als Grundlage des professionellen Journalismus akzeptiert haben.“ 8
Teil des Schiffs, Teil der Crew!
Obwohl Brockschmidt richtige Beobachtungen aufzählt, blendet sie Ökonomisches größtenteils aus. Dass die Wirtschaftspolitik von Biden und Trump sich kaum unterscheidet, spielt für sie keine Rolle. Deshalb fehlt ihr eine klassenkämpferische Perspektive und damit auch eine Erklärungsgrundlage für die rechte Allianz, die sie beschreibt. Während der Empörung über den Kulturkampf von rechts verliert sie dessen wirtschaftliche Grundlage aus den Augen. In dieser Hinsicht ist “Amerikas Gotteskrieger” eine kulturindustrielle Instanz, die kaum über moralische Empörung hinausgeht und dadurch verschleiert, was laut Thomas Frank die Fundamentalste aller wirtschaftlichen Realitäten ist:“ (…) dass die Sender und Filmstudios und Werbeagenturen und Verlage und Plattenmarken tatsächlich kommerzielle Unternehmen sind.“ Eine Wahrheit, die bereits Adorno ausdrückte: „Was die Kulturindustrie ausheckt, sind keine Anweisungen zum seligen Leben und auch keine neue Kunst moralischer Verantwortung, sondern Ermahnungen, dem zu parieren, wohinter die mächtigsten Interessen stehen. Das Einverständnis was sie propagiert, verstärkt blinde, unerhellte Autorität.“9 Obwohl der Kampf gegen den Faschismus keine rein ökonomische Frage ist, muss Brockschmidt sich diesen Vorwurf gefallen lassen.
Querfronten und Querdenken
Der Backlash wird angetrieben dadurch, Wut in Menschen zu entfachen und sie auf Dinge zu richten, die ihnen nicht wirklich schaden. Dadurch werden Lohnabhängige von der Ursache ihrer Probleme abgelenkt: dem Kapitalismus. In Deutschland - und hier liegt Annika Brockschmidt richtig - wird der spirituelle Arm der faschistischen Bewegung von Anthroposoph:innen und Querdenker:innen gebildet. Eine Allianz, die schon den Nationalsozialist:innen in Deutschland genutzt hat, bis Waldorfschulen und die Lehren Rudolf Steiners verboten wurden, da sie gegenüber dem Faschismus eine zu starke ideologische Konkurrenz darstellen.10 Reaktionäre Parteien wie die CDU und die FDP gehen nach wie vor in diesem Milieu auf Stimmenfang und arbeiten an einer deutschen Version des Backlash. Stück für Stück übernehmen sie die Themen des US-amerikanischen Klerikalfaschismus. Das Bündnis aus Kapitalist:innen und christlichen Faschist:innen zielt auch hier darauf ab, anschlussfähig an den bürgerlichen Liberalismus zu bleiben und strebt so danach, die ökonomische Herrschaft zu erhalten. In diesem Punkt stehen sich diese Gruppen gegenseitig näher als jeder kommunistischen Tendenz.
Kultur & Klasse
“Amerikas Gotteskrieger” beschreibt reale Missstände, erklärt sie aber nicht. Brockschmidt sieht, dass der Backlash ein Zusammenschluss ist, der mehr als ein faschistisches Element enthält. Aber ihr entgeht die ökonomische Grundlage und der Antiintellektualismus als verbindende Faktoren. In Wahrheit vertritt Amerikas religiöse Rechte einen aufgewärmten Antikommunismus, der Kulturkampf mit Klassenkampf von oben verbindet. Die Leerstelle, die Brockschmidts Analyse in der Ökonomie hat, ist anschlussfähig an Verschwörungsmythen, weil sie Raum dafür lässt, sich Gründe für ökonomische Probleme einfach auszudenken. Und weil Brockschmidt die religiöse Rechte in den USA nicht als primär antiintellektuell analysiert, verpasst sie es, den antisemitischen Mythos des Kulturmarxismus als den ideologischen Kern zu erkennen, mit dessen Hilfe der Backlash vorangetrieben wird. So lässt sich heute sagen, was Marx und Engels im Manifest der kommunistischen Partei schrieben: „Wo ist die Oppositionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als kommunistisch verschrien worden wäre, wo die Oppositionspartei, die den fortgeschrittenen Oppositionsleuten sowohl wie ihren reaktionären Gegnern den brandmarkenden Vorwurf des Kommunismus nicht zurückgeschleudert hätte?“11 Denn so realitätsfern die Thesen des Backlash sind, so nützlich sind sie als Rechtfertigung, um sich mit Faschist:innen gegen die vermeintliche kommunistische Bedrohungen zusammenzuschließen. (Bewertung: 2,5 von 5 Kreuzen)
Für eine weiterführende Beschäftigung mit dem Thema sind neben den Büchern von Brockschmidt und Thomas Frank auch „Über alles in der Welt – Esoterik und Leitkultur“ von Claudia Barth, die Netflix Dokureihe „The Family“ und Brockschmidts Podcast “Kreuz und Flagge” zu empfehlen.
Fußnoten:
[1] Vgl. Brockschmidt, Annika; Amerikas Gotteskrieger: Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet. Rowohlt. Hamburg, 2021. S. 248.
[2] Vgl. ebd. S. 350.
[3] S. 226
[4] Frank, Thomas: Was ist mit Kansas los? Wie die Konservativen das Herz von Amerika eroberten. Berlin Verlag 2005. S. 184.
[5] Ebd. S.205.
[6] Ebd. S.196.
[7] Ebd. S.248.
[8] Ebd. S.132-133.
[9] Adorno, Theodor W.; Resume über die Kulturindustrie. Ohne Leitbild S. 344.
[10] Barth, Claudia; Über alles in der Welt: Esoterik und Leitkultur. Alibri Verlag. Aschaffenburg, 2006 S. 90.
[11] Engels, Friedrich; Marx, Karl: Manifest der kommunistischen Partei. Reclam, Stuttgart 1981. S. 23.