"Gute Argumente reichen nicht" // NC-UHH #1Ein Interview mit TVStud
19. März 2021, von Leni N.
Ein Interview mit der Initiative TVStud über ihren Kampf um einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte
Könnt ihr kurz erläutern seit wann die Initiative TVStud besteht und warum sie sich gegründet hat?
Ludwig: Vor knapp einem Jahr sind wir als kleine Gruppe von nur einer Hand voll Leuten gestartet. Wobei man eigentlich „neu gestartet“ sagen müsste, denn seit Jahren gab es immer wieder studentische Hilfskräfte (SHKs) und Tutor*innen, die sich für eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen eingesetzt haben.
Heidi: Unter uns studentischen Beschäftigten sind schlechte Arbeitsbedingungen leider sehr normalisiert, nach dem Motto „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Dabei gibt es viele gravierende Probleme: Zum Beispiel liegt unser Stundenlohn derzeit bei 10,77€ (UHH) und damit gut 15 Prozent unter dem der studentischen Angestellten in der Verwaltung und rund zehn Prozent unter dem durchschnittlichen Stundenlohn von Studierenden in Hamburg. Das ist an sich ärgerlich genug, führt aber auch dazu, dass sich manche Studis einen Job als SHK oder Tutor:in, die als erster Schritt auf der akademischen Karriereleiter gepriesen werden, nicht leisten können und strukturelle Ungleichheiten so im Wissenschaftssektor reproduziert werden. Außerdem sind drei Viertel unserer Arbeitsverträge auf nur zwei bis sechs Monate befristet. Das macht nicht nur das Mieten einer Wohnung schwieriger, sondern führt auch dazu, dass viele von uns zum Beispiel Krankheits- und Urlaubszeiten nacharbeiten, um die Verlängerung ihrer Beschäftigung sicherzustellen.
Ludwig: Als SHK oder Tutor:in hat man in Hamburg leider noch keine institutionalisierte Möglichkeit des Austausches oder der Interessensvertretung. Deshalb haben wir uns entschieden uns gemeinsam zu organisieren und uns für einen Tarifvertrag (TV) einzusetzen, da für uns nur so angemessene Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen rechtssicher und dauerhaft erreicht werden können. Unsere Bewegung in Hamburg ist dabei kein Einzelfall – bundesweit werden immer mehr studentische Beschäftigte aktiv. In Berlin wurde bereits vor zwei Jahren ein neuer TVStud erkämpft, und mittlerweile sind TVStud-Initiativen in Bremen, Erlangen, Göttingen, Leipzig und vielen anderen Städten entstanden.
Was waren eure bisherigen Aktivitäten hier in Hamburg?
Heidi: Gestartet sind wir vergangenes Jahr mit einer Auftaktkonferenz, bei der wir unser Projekt vorgestellt haben. So haben wir viele studentische Beschäftigte aus verschiedenen Hochschulen, Fakultäten und Einrichtungen erreicht. Seitdem gibt es neben unserem wöchentlichen Treffen dezentrale Gruppen, die in ihren Bereichen selbstständig aktiv sind und mit ihren Kolleg:innen vor Ort ins Gespräch kommen und sie informieren. Zusätzlich starten wir auch öffentliche Aktionen, um auf die Politik Druck auszuüben, denn die hat es in der Hand, wie es mit unseren Arbeitsbedingungen weitergeht. Zu nennen wäre da etwa unser unangekündigter, lautstarker Besuch bei der Wissenschaftsbehörde Anfang des Jahres im Rahmen der Kampagne „Hamburg – Stadt der prekären Wissenschaft“, bei dem wir am Ende im Büro der Wissenschaftssenatorin unsere Forderungen vortragen konnten. Ansonsten beteiligen wir uns an Bündnisaktio- nen, wie dem Frauen*streik am 8. März oder der Demonstration für ein Solidarsemester vor dem Rathaus.
Ludwig: Wir arbeiten basisdemokratisch und die Gruppen in den einzelnen Fachbereichen agieren unabhängig als Expert:innen für ihren Arbeitsort. Es gibt vielfältige Beteiligungsformen, sodass sich alle nach ihren Möglichkeiten in unsere gemeinsame Arbeit für einen Tarifvertrag einbringen können. Wir verstehen uns dabei als Teil einer sozialen Bewegung, wenn wir für strukturelle Verbesserungen von Arbeitsbedingungen und mehr demokratische Mitsprache der Beschäftigten kämpfen. Das Mindeste, was jede:r SHK und Tutor*in dabei machen kann, ist Mitglied in den Gewerkschaften Ver.di und GEW zu werden. Denn gemeinsam mit diesen verhandeln wir am Ende den Tarifvertrag. Je mehr Leute wir sind, desto mehr Macht haben wir, um starke Forderungen gegenüber der Stadt Hamburg durchzudrücken.
Du sprichst die Gewerkschaften an. Wie läuft denn eure Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften?
Ludwig: Da in Deutschland nur Gewerkschaften Tarifverhandlungen führen dürfen, sind wir sehr früh mit der Ver.di in Kontakt getreten. Obwohl viele Abläufe in unserer Gruppe anders funktionieren als in traditionellen Gewerkschaften schätzen wir den Austausch und die Unterstützung sehr. Zum Beispiel legen wir viel Wert auf Selbstorganisation und wollen weniger Stellvertreter:innenpolitik machen. So haben wir etwa noch keine Details unserer Tarifforderung, wie etwa die Lohnforderungen festgelegt, sondern wollen diese erst zu einem fortgeschritteneren Zeitpunkt mit allen Aktiven gemeinsam erarbeiten.
Heidi: Wir arbeiten überwiegend mit Ver.di zusammen, erhalten aber auch Unterstützung von der GEW. Sei es durch Bildungsangebote wie Schulungen und Workshops, durch finanzielle Unterstützung wie Übernahme von Materialkosten oder durch persönliche Kontakte und Netzwerke in die Politik und an den Hochschulen. Von der Zusammenarbeit profitieren alle Seiten und mit den beiden Gewerkschaften haben wir starke Partner mit viel Erfahrung in solchen Auseinandersetzungen an unserer Seite.
In welchem Verhältnis zu den anderen Angestellten der Universität seht ihr euch als studentische Hilfskräfte?
Heidi: Wir sind solidarisch mit den anderen Beschäftigungsgruppen an den Unis und Hochschulen, die sehr oft unter ähnlich prekären Bedingungen arbeiten. So sind zum Beispiel an der Universität Hamburg nur weniger als fünf Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen unbefristet beschäftigt. Unter den Frauen beträgt der Anteil sogar nur 1,6%. Diese traurige Perspektive für eine Weiterbeschäftigung in der Wissenschaft nach der SHK- oder Tutor:innen-Stelle trägt mit dazu bei, dass wir uns weder jetzt noch zukünftig mit schlechten Arbeitsbedingungen zufriedengeben wollen.
Ludwig: Doktorand:innen, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und andere Beschäftigte aus dem akademischen Mittelbau organisieren sich in der Mittelbau Initiative, um ähnlich wie wir für eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zu streiten. Wir tauschen uns regelmäßig aus und haben gemeinsam zum Beispiel die Kampagne „Hamburg – Stadt der prekären Wissenschaft“ gestartet. Diese Kampagne wurde auch von Professor*innen der verschiedenen Hochschulen unterstützt. Da wir unser Bemühen als Teil einer allgemeinen sozialen Bewegung begreifen, sind wir über die Uni hinaus auch im Hamburger Netzwerk Arbeitskämpfe aktiv, tauschen uns aus und arbeiten dort solidarisch mit Beschäftigten aus verschiedenen Arbeitsbereichen zusammen.
Welche Erfahrungen habt ihr mit städtischer Politik und Universitätsleitung gemacht?
Ludwig: Wie die meisten anderen Arbeitgeber auch, ist die Stadt Hamburg darauf bedacht bei Ausgaben für die Beschäftigten möglichst zu sparen. Im bisherigen Austausch erleben wir immer wieder ein gegenseitiges Hin- und Herschieben der Verantwortungzwischen der rot-grünen Stadtregierung und den Universitäten und Hochschulen. Während die Hochschulleitungen sich über mangelnde Grundfinanzierung beschwe- ren, bestehen sie gleichzeitig wegen vorgeblicher Sachzwänge auf die kurzen Befristungen der Arbeitsverträge. Dass das nur vorgeschobene Argumente sind, die uns ru- higstellen sollen, zeigt das Beispiel Berlin: Auch mit der dortigen Mindestlaufzeit von zwei Jahren für die Verträge von studentischen Beschäftigten ist der Hochschulbetrieb nicht zusammengebrochen, sondern funktioniert weiterhin problemlos. Es mangelt also nur am Willen SHKs und Tutor:innen als vollwertige Arbeitnehmer*innen mit gewissen Rechten anzuerkennen. Stattdessen werden wir in Hamburg wie Bürobedarf als „Sachmittel“ abgerechnet.
Heidi: Die Politik hingegen schiebt häufig durch den Verweis auf die Autonomie der Hochschulen die Verantwortung von sich. Wir hatten bereits ein persönliches Gespräch mit der Wissenschaftssenatorin und zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Bündnis 90/Die Grünen), bei dem sie uns zwar viel Verständnis entgegengebracht hat, aber keine Verbesserungen in Aussicht stellen wollte. Wir werden weiterhin das Gespräch mit der Politik und den Hochschulleitungen suchen, doch es wird aus unseren Erfahrungen immer deutlicher, dass gute Argumente nicht ausreichen und wir nur als starker Zusammenschluss der studentischen Beschäftigten Verbesserungen erringen werden.
Und wie kann man euch unterstützen?
Heidi: Alle studentischen Hilfskräfte und Tutor:innen, die sich gemeinsam mit uns für ihre Interessen einsetzen wollen, sowie Unterstützer:innen sind eingeladen mitzumachen. Nehmt am besten über unsere Kanäle Kontakt zu uns auf, oder noch besser: Kommt direkt bei unserem wöchentlichen Treffen vorbei und lernt uns kennen. Wir treffen uns jeden Mittwoch um 17:00 Uhr im Café Knallhart (pandemiebedingte Änderungen im Laufe des Semesters möglich).
Das Interview führte ein Mitglied des AStAs.
Infoblock: TV Stud Hamburg
Website: www.tvstud-hamburg.de &
www.wissenschaft-prekaer.org
Telegram: t.me/TVStudHH
Facebook: @TVStudHH
Instagram: @TVStud_HH
Twitter: @TVStud_HH
Treffen:
Jeden Mittwoch um 17 Uhr online
(Zugangsdaten können über das Kontaktformular auf der Website angefragt werden)
https://www.tvstud-hamburg.de/mach-mit-die-naechsten-termine/