Kolumne: Arbeit und Kultur II // NC-UHH #2
8. Februar 2022, von Anton & Tosca
In der zweiten Kolumne von Arbeit & Kultur geht es um die virtuelle Influencerin Miquela Sousa. Als das erfolgreichste Modell des Technik-Start-ups Brud hat sie Millionen von Follower:innen, zahlreiche Werbeaufträge und keinen einzigen Shitstorm generiert. Ein Text über manipulative Verkaufsstrategien und deren politische Implikationen.
Welcome to the Internet
Influencer:innen sind Personen, die in sozialen Medien zu Bekanntheit gelangt sind und sowohl eigene „Inhalte“ als auch Werbe-Content teilen. Auf den ersten Blick scheint Miquela Sousa eine junge Influencerin unter vielen zu sein: Normschön, teure Kleidung, unzählige Selfies – unzählige Filter. Bei genauerer Betrachtung irritieren die Bilder: Die junge Frau wirkt nicht einfach nachbearbeitet, sondern so künstlich wie Sims-Avatare. Red Flag: Uncanny Valley! Beim Überfliegen ihrer Post und Ansehen ihrer Videos bestätigt sich der Verdacht: Miquela ist keine real existierende Person, sondern gemäß ihrer Instagram- und TikTok-Biographie ein in L.A. ansässiger Roboter. Drei Millionen Accounts folgen ihr bei Instagram und bei TikTok. Ihr am häufigsten gesehenes Musikvideo bei Youtube hat fast 7.000.000 Aufrufe, bei Spotify hören monatlich 100.000 Accounts ihre Musik.
Geschaffen wurde Lil Miquela (wie sie auf ihren Kanälen meistens bezeichnet wird) von einem kalifornischen Start-up namens Brud. Brud hat mittlerweile mehrere virtuelle Influencer:innen geschaffen und finanziert sich durch die Honorare, die von ihnen erzeugt werden. Zu diesem Zweck bespielen die von Brud geschaffenen Testimonials die gesamte Bandbreite des digitalen Marketings: Über verschiedene Kanäle postet Lil Miquela sowohl unbezahlte Videos, die den Anschein von Vertrautheit erwecken und ihre Follower:innen so an sie binden, als auch bezahlte Werbeinhalte, die im ersten Moment wie freundschaftliche Ratschläge wirken, sowie Werbung für eigene Produkte (z.B. Songs bei Spotify). Nebenbei interagiert sie mit den anderen Brud Testimonials und hält die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen so im Firmenkosmos.
Knutschen und Digital Dancing mit Miquela
Miquelas Videos und Texte handeln häufig von typischen Coming-Of-Age-Themen. Liebe, Selbstverortung, Klimakrise. So integer Brud auch versucht Miquela zu präsentieren, so schal bleibt der Beigeschmack, der damit einhergeht, dass die Produzent:innen ihr jegliches Alter und Aussehen hätten geben können und sich (konform mit der Präferenz von Instagram-Algorithmus und Patriarchat) für eine jedem Schönheitsstandard entsprechende ewig neunzehnjährige Teenagerin mit ziemlich heller Haut entschieden haben. Obligatorische thirst traps inklusive. Selbstbestimmtheit und Queerness werden wie üblich angedeutet, aber nicht vorgelebt – außer man entspricht sowieso geltenden Schönheitsnormen. Miquela ist weiß, aber nicht so weiß, dass sie nicht behaupten könnte, betroffen von Rassismus zu sein. So sichert Brud sich die Kaufkraft von unterdrückten Minderheiten, die sich repräsentiert sehen wollen und kann nebenbei auch noch „authentisch“ Werbung für sich selbst machen, indem pseudopolitische Hashtags geteilt und Slogans gerufen werden. #blacklivesmatter. Natürlich hat Brud Miquela auch eine Story von körperlichem Missbrauch auf den Leib geschneidert. Mut zum Mainstream: Diskriminierung wird zum Marketing Gag.
Nicht nur der Mangel an Kreativität und Vorstellungskraft angesichts der technischen Möglichkeiten ist im Zusammenhang mit bestimmten politischen Positionen Miquelas bedenklich: Ein körperloser Avatar, der Body Positivity proklamiert, ist ein Widerspruch und zwar kein produktiver. Miquela ist eine ausformulierte, männliche Fantasie. Sie hat keine Handlungsmacht. Sie wurde erschaffen, ist Eigentum, ihr Arsch wird digital geformt, ins Bild gesetzt und so angezogen, wie die „kreativen“ Köpfe der Techfirma es wollen. Die sozialen Netzwerke belohnen das mit guten Klickzahlen. Politische Forderungen über (körperliche) Selbstbestimmung (und der damit in Zusammenhang stehende Selbstwert) werden so nicht nur unterminiert, sondern in zynischer Weise verkehrt. Lil Miquela ist verfügbar, für Brud, für Konsument:innen, für Firmeninteressen. Auf diesem Arsch könnte Ihre Werbung stehen!
Helfen Sie Brud dabei, die Welt zu retten!
Es ist eine übliche Marketingstrategie, die Social-Media-Seiten von Influencer:innen mit politisch wirkenden (bzw. ausgehöhlten) Hashtags wie #blacklivesmatter zu garnieren, um auf größere Ziele zu verweisen, für die die entsprechende Firma kämpft und zu dem die Konsument:innen mit dem Kauf des Produktes beitragen können. Neunzehnjähriges Robotermädchen in deiner Gegend benötigt Hilfe, um die Welt zu retten! Wer kann da schon nein sagen? Solche moralisierenden und häufig sexuell konnotierten Marketingmethoden laufen über Instagram besonders gut, da der Algorithmus sogar die öffentliche Entschuldigung für politisches Fehlverhalten besser platziert als Aufklärung über die menschenverachtenden Zustände in Kapitalismus und Patriarchat. Selbstermächtigung spielt keine Rolle. Emotionen siegen über Fakten, weil Fakten sich nicht so gut manipulieren lassen. Und sie lassen sich bei weitem nicht so gut verkaufen.
Künstliche Intelligenz oder Haushaltsmaschine?
„Characters can’t be owned“ steht neben anderen Kalendersprüchen auf Bruds Homepage. Gut, dass Roboter keinen eigenen Charakter brauchen. Sie brauchen per Definition überhaupt keine Form von Intelligenz. Stattdessen sind sie Maschinen, die über physische Interaktion autonom oder gesteuert Tätigkeiten selbstständig ausführen können und so Aufgaben, die sonst von Menschen (häufig von Frauen) übernommen werden müssen, erleichtern. Beispielsweise putzen, kochen oder eben werben. Im Gegensatz dazu steht die Künstliche Intelligenz (KI), die selbstständig planen, lernen und Ziele erreichen kann und unter Umständen sogar vollständig digital existiert. Wie genau Lil Miquela und die anderen Roboter von Brud erschaffen werden, ob es sich um reine Animationen oder tatsächlich um Roboter handelt und ob sie eine Form künstlicher Intelligenz, beispielsweise in Form von Algorithmen besitzen, ist unklar. Doch als willenlose digitale Testimonials wären sie kein Einzelfall. Colonel Sanders, das Marketingmaskottchen des Fast Food Franchise Kentucky Fried Chicken, wird seit neuestem animiert. So kann das Unternehmen auf teure, altersanfällige und eventuelle gewerkschaftlich vernetzte Schauspieler:innen verzichten.
Kreativität als Ware
Brud erschließt mit Lil Miquela also ein lukratives und noch recht neues Feld, dass sich anschickt, den realen Influencer:innen Stück für Stück den Rang abzulaufen. Brud geriert sich dabei aber wie ein Kunstkollektiv, denn das verkauft sich einfach besser. Denn: Sind wir nicht alle irgendwie Kreative? Laut seiner Homepage kreiert das Start-up „community-owned media“ und „collectively-built worlds“. Das erinnert nicht ohne Grund an World Disneys „Spaß für die ganze Familie“. Brud sagt, es erschaffe sein Heer digitaler Avatare nicht für Profit, sondern für eine „neue Form des Storytellings“. Der Plan für die Zukunft besteht darin, Brud „in die Hände der Fans und der Gläubigen zu geben“. Klingt mehr nach Börsengang als nach kreativer Teilhabe. Mehr nach Kundenbindung als nach selbstbestimmten Entscheidungen. Und um die Disney-Analogie auf die Spitze zu treiben: mehr nach der Möglichkeit, Arbeit nicht zu bezahlen als nach Gewerkschaftsgründung.
Big in Japan
Brud inszeniert Miquelas Aussehen und Auftreten in einer stark verniedlichenden Form, die ebenfalls und nicht nur bei Instagram und in den USA in Mode ist. Kawaii – der japanische Ausdruck für „süß“, „kindlich“ und „attraktiv“ – ist ein Synonym für ein ästhetisches Konzept, dass Kindlichkeit betont und sich auf alle Bereiche der japanischen Kultur ausgedehnt hat. In China wird aktiv an einer politischen Form süßer Ästhetik für Staatsorgane gearbeitet, mit welcher Widerstand und Aufbegehren im Keim unterdrückt werden sollen. Die Literaturwissenschaftlerin Sianne Ngai bemerkt in ihrem einschlägigen Buch zu dem Thema „Zany, Cute, Interesting – Our Aesthetic Categories“, dass sogar der Zeichenstil von Mickey Maus mit der Zeit stetig verniedlicht worden ist. Ngai hält „Cuteness“ mit Walter Benjamin für die Vortäuschung einer falschen Einfachheit, die den Warenfetisch kapitalistischer Gesellschaften scheinbar unterminiert und einen scheinbar schlichteren Zugang zu echten Produktionsprozessen ermöglicht. Wenn wir etwas süß finden, dann wollen wir dessen habhaft werden, weil wir uns so einen authentischen Zugang zur Welt versprechen. Infolge der unvermeidbaren Nichteinlösung dieses Versprechens mischt sich das Gefühl der Zärtlichkeit, das wir gegenüber Niedlichem empfinden, mit Aggression. Wir fühlen uns betrogen, weil das süße Objekt uns nicht geben kann, was wir von ihm erwarten: einen Bezug, der nicht von der allgegenwärtigen Entfremdung durch Waren und Produktionsprozesse geprägt ist. Trotzdem können wir nicht anders, als uns auch das nächste Katzenbild anzusehen in der Hoffnung, beim nächsten Mal nicht enttäuscht zu werden. Durch bewusste Manipulation wird unsere Aufmerksamkeit so ökonomischen Interessen unterworfen.
In diesem Zuge wird der Umgang mit süßen Objekten wie Miquela ein haptischer. Wir wollen das süße Objekt berühren und es ganz in uns aufnehmen, möglicherweise sogar aufessen. Unbewusst spiegeln Betrachter:innen deshalb süße Objekte, beispielsweise durch die Imitation von Babysprache oder den Kauf des gleichen niedlichen Outfits, das Miquela auf einem ihrer Bilder trägt. So wird das Objekt in der Nachahmung zum Subjekt. Wir glauben seiner habhaft zu werden. Doch diese Entwicklung läuft in beide Richtungen: Das Subjekt wird auch zum Objekt. Der Mensch macht sich selbst zur Ware und der Spätkapitalismus vollendet seinen Zugriff auf unsere Emotionen durch marktgerechte Einteilung und Verwertung. „Cuteness culture“ lässt uns nach der Befriedigung unserer Sehnsucht, nach einem direkteren Zugang zur Welt suchen, während sie uns den Marktmechanismen ausliefert. Unser Bedürfnis nach Intimität und Aufmerksamkeit wird in dem durch Cuteness gesteuerten Konsum permanent enttäuscht.
Don’t hug me, I’m scared
Das Brud-Produkt Lil Miquela ist Betrug auf allen Ebenen: Es wird ein politischer und ein künstlerisch individualistischer Anspruch vorgetäuscht, der nur zu Werbezwecken existiert. Wir sollen eine emotionale Bindung zu Miquela eingehen, um – wie üblich bei Influencer:innen – die schließlich eben doch beworbenen Produkte zu konsumieren. Natürlich ist Miquela gar nicht in der Lage dazu, unsere Emotionen ihr gegenüber zu erwidern. Sie soll für ein gesundes Selbstwertgefühl und Selbstbestimmtheit stehen, doch bedient sie nur genau die Stereotype, die über Instagram einfach am besten laufen und wird vollständig von einem Technik-Start-up kontrolliert. Schließlich spielt das Gefühl betrogen zu werden auch bei den ästhetischen Eigenschaften Lil Miquelas eine Rolle: Alles an ihr, vom Namen über ihr Alter bis zu den Outfits, ist darauf ausgelegt, süß zu wirken und führt damit automatisch zu einem Gefühl von Enttäuschung. Denn das Versprechen, einen direkteren, unentfremdeten Zugang zur Welt zu erlangen, das Süßes in uns auslöst, wird niemals verwirklicht. Als Kompensation dient dann wiederum Konsum. Bleibt nur zu hoffen, dass wir noch lange von Sexpuppen der Marke Brud verschont bleiben.