Kritik der Forderung nach Solidarität mit der Ukraine // NC-UHH #3
16. Mai 2023, von Frederike Engelhardt
Ein Einspruch gegen die allgemein angewandte Praktik, in Kriegsfragen unbedingt einer Seite die Daumen drücken zu wollen. Ein Hinweis darauf, warum das Fordern von Frieden absolut dämlich und die tatsächliche Befassung mit den Kriegsgründen angebracht ist. |
Das Gespräch über den Krieg in der Ukraine ist hierzulande meist deckungsgleich mit der Fragestellung, für wen man zu sein habe. Da greifen zwei Staatsmächte, zur Durchsetzung ihres jeweilig eigenen Interesses gegen das andere, zum Mittel des Krieges, schicken ihre Landsleute bewaffnet in den Kampf und die einzige Frage, die sich gestellt wird, ist: Welcher Seite drücke ich die Daumen? Da ist man, als ferner Beobachter, konfrontiert mit Bildern der Zerstörung von Land und Leuten und anstatt sich der Frage zu widmen „Wozu das Ganze?“ geht man über jeden Kriegsgrund hinweg, um nur unbedingt zu wissen, welcher Partei die ungeteilte moralische Unterstützung gebührt.
Die Antwort auf die Frage der Parteilichkeit ist in diesem Fall ganz klar: die Ukraine, sie ist schließlich Opfer eines Angriffskrieges von Seiten Russlands und tut nichts anderes, als sich zu verteidigen. Und jede Nachfrage nach einem Grund für den Angriff wird darüber als Relativierung jenes Angriffs und Parteilichkeit für Russland bewertet und somit aller weiterer Diskurs konsequent abgewehrt.
Sogar das Vorenthalten der Abgabe einer eigenen Meinung zum Kriegsgeschehen in der Ukraine ist empörenswert. Man, und damit hat man sich als guter Staatsbürger identifiziert, müsse doch geschlossene Haltung gegen die Bedrohung Russlands zeigen, mit allem was so dazugehört. Dass das Dazugehörende dann schweres Kriegsgefährt und tote Menschen bedeutet, ist bekannt. Da gehen, während der Staat über die Neueinführung der Wehrpflicht diskutiert, um seine Bürger im Kriegsfall gerechter Weise dazu zwingen zu können sein Interesse mit der Waffe in der Hand zu verteidigen, Leute gar freiwillig an die Kriegsfront und werden von Staat und Mitbürgern als Verteidiger „des Guten“ gefeiert. Denn so viel steht fest: Russland als Aggressor ist das Böse, was die gute Herrschaft des Westens kaputt machen will. So sehen es nicht nur die Staatsmächte des Westens, sondern so posaunen es auch deren brave Untertaten frei heraus. Man ist gegen Russland, weil Russland „ein Aggressor“ ist. Ein Aggressor wogegen eigentlich? Es wird abstrahiert von einem tatsächlichen Krieg von Großmächten mit staatlichen Interessen, mit welchem man ohnehin nichts zu tun hat außer dann eben im Kriegsfall als Benutzungsmittel seines Staates vorzukommen, hin zu einem Angriff auf „das Gute“. Da nimmt man als Beherrschter glatt den Standpunkt seines Beherrschers ein. Wie dämlich kann man sein.
Die ideologische Meisterleistung der treuen Untertanen, dem Staat der sie beherrscht und benutzt in seinem Konflikt mit einem anderen Staat die Däumchen zu drücken und auf den Straßen für die Aufrüstung seines Verteidigungsbündnisses im Osten auch noch demonstrieren zu gehen, die findet freilich auch bürgerliche Kritiker. Diejenigen nämlich, die da meinen erkannt zu haben, dass mehr Krieg gegen Krieg ja nicht helfen könne. So gehen diese „Radikalen“ auf die Straße, um für „den Frieden“ zu demonstrieren. Doch auch ihre Forderung zeugt von nichts anderem, als dem sehnlichen Wunsch beherrscht zu werden. Gerecht beherrscht zu werden, versteht sich. Denn der Unterschied ihrer Forderung, im Gegensatz zu dem eben besprochenem Standpunkt des treuen Untertanen, besteht darin die Methode des Staates bei der Verteidigung seines Interesses nicht zu billigen und sich eine andere, eine friedliche eben, herbeizuwünschen. Als sei es Entscheidungsgegenstand der Untertanen, ob ihr Staat sie nun als Mittel zur Durchsetzung seines Interesses benutzt oder nicht. Dies wird auch im Fall Ukraine deutlich, so schreibt das Auswärtige Amt: „Männlichen Ukrainischen Staatsbürgern im Alter von 18 bis 60 Jahren ist seit der Generalmobilmachung die Ausreise aus der Ukraine verboten.“ Hier kann man klar erkennen, wie die Untertanen von Staaten in deren Kriegen vorkommen, nämlich als Kriegsmaterial.
Und was tun Leute, die sich das Spektakel aus der Ferne anschauen? In Anbetracht der eigenen Ohnmacht als ferner Beobachter des blutigen Machtkampfes von Staaten, wird sich doch glatt noch ein Staat herbeigesehnt. Einer, der keinen Krieg treiben soll, sondern- was denn? Nett zu seinen Untertanen ist? Das wäre wohl zu viel verlangt. Es ist doch höchst verwunderlich, dass diese Freunde des Friedens erst in Anbetracht eines Krieges ihren Weg in die Straßen finden. Dass tagtäglich Menschen daran kaputt gehen und gar gänzlich scheitern, an die Bedingung der Befriedigung ihrer Bedürfnisse (Geld) zu kommen, dabei verwahrlosen, ohne Behausung leben, in Armut langsam oder schnell dahinkrepieren und in allerwelt massenweise verhungern, kommt ihnen ganz offensichtlich nicht komisch vor. Ganz bestimmt nicht, sonst würden sie nicht nach einem schreien, der eben diese Verhältnisse sichert.
Zwar unterscheidet sich der radikale Friedensfreund von dem, der der NATO die Daumen drückt, aber doch auch nur in der Qualität seines Idealismus. Zugegeben, er fordert kein schweres Geschoss für die Ukraine, er ist schließlich Menschenfreund und Waffen sind bekanntlich dazu da, Menschen zu töten. Doch sein Appell an seinen Staat, bitte bitte im Namen der Menschlichkeit innezuhalten und Frieden einkehren zu lassen, zeugt auch bei ihm von einer absoluten Ignoranz des Zwecks seines Staats und dessen Kriegstreiberei gegenüber. Als Volk wenden sich die Friedensfreunde an ihren Staat und verlangen, dass ihr Interesse beherzigt wird. Als sei der Grund für den Krieg jemals die Kriegsstimmung des Volkes gewesen. Diese findet man, wie bereits besprochen, allerseits vor und diese wird auch sicher von Regierung und Medien weiter angeheizt, der Grund für den Krieg ist sie trotzdem nicht.
Wer behauptet, Krieg müsse in dieser Welt nicht sein, der hat sich diese Welt einfach nicht richtig angeschaut. Und wer meint, die Welt sei eine gute, wenn sich doch bloß keine Staaten zur Durchsetzung ihrer Interessen gegeneinander gegenseitig abschlachten würden, der hat ein komische Vorstellung von „gut“, wenn dies dann jedes andere Leid, das es an allen Ecken gibt, miteinschließt. Wenn sich so einer dann auch noch „Menschenfreund“ nennt, dann ist der alles, nur nicht ganz bei Trost.