Arbeitslos und Asynchron // NC-UHH #1Soziale Lage der Studierenden in Zeiten von Corona
23 March 2021, by Tosca
Über die prekäre Lage von Studierenden in Zeiten der Corona-Pandemie haben schon viele Zeitungen etliche Beiträge veröffentlicht. Man könnte meinen, es wurde alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt. Nichtsdestotrotz folgt hier der Versuch, zumindest einige Erkenntnisse und Beobachtungen über die soziale Lage der Studierenden sinnvoll zu bündeln, zu ergänzen und anekdotisch auszumalen.
Erstens verschlechtert sich die finanzielle Lage vieler Studierender: Sie sind vom Wegfallen unzähliger Jobs betroffen, besonders in der Gastronomie und in der Veranstaltungsbrache. Die Überbrückungshilfen, die von Juli bis September gezahlt wurden, fielen oft zu gering aus und kamen zu spät. Verschuldung durch die angebotenen mickrigen Darlehen stellt für viele Studierende verständlicherweise keine attraktive Option dar. Hinzukommt, dass durch ein Corona-bedingt verlängertes Studium für viele auch die Förderung durch das Bafög-Amt drohte wegzufallen. Ausnahmeregelungen wurden in Hamburg anfangs zwar eingeführt, griffen aber faktisch kaum. Mittlerweile wurde die Regelstudienzeit hier kurzfristig um ein Semester verlängert, was zumindest für die nächsten sechs Monate Planungssicherheit gibt. Arbeitslosengeld ist für die meisten Studierenden ebenfalls keine Option, da man vorher Sozialversicherungsbeiträge hätte einzahlen müssen. Für ALG II muss man wiederum in Teilzeit studieren. Wenn die Eltern auch wenig Geld haben, während der Pandemie ihre Arbeit verloren haben oder wegen Kurzarbeitergeld mit weniger auskommen müssen, fällt für Studierende eine weitere finanzielle Stütze weg. Gleichzeitig bleiben die Lebenshaltungskosten genauso hoch wie zuvor oder steigen sogar an. In Großstädten wie Hamburg ist besonders die Miete der Kostenpunkt, der am meisten Sorge und die größten Probleme bereitet: Laut einer Online-Umfrage von einer Forschungsgruppe der Universität Hildesheim unter Studierenden gaben 39 Prozent an, bei ihren Eltern zu wohnen. In den Jahren vor der Pandemie war es lediglich jede:r Fünfte. Auch die WG-Suche ist in der Virenlandschaft nicht einfacher geworden. Für Kommiliton:innen in deprimierenden Zwangs-WGs ist das keine gute Nachricht. Denn solange nur wenige Tische in den Bibliotheken zur Verfügung stehen und Stabi-Sitzplätze gebunkert werden, bleibt das eigene Zimmer der einzige Platz zum Arbeiten. Fluchtmöglichkeiten aus den WGs gibt es nur wenige. Durch die Schließung studentischer Freiräume und das Wegfallen anderer vom Konsumzwang befreiter Räume, in denen man keine 3,50 Euro für einen Kaffee bezahlen muss, um bleiben zu können, stehen nicht mal mehr Orte für kurzweiligen Eskapismus, zum Rumhängen oder Kiffen zur Verfügung.
Zweitens verschärfen Krisen soziale Ungleichheiten, auch und gerade an Universitäten, deren Funktion auch immer Selektion und Elitenbildung ist. Im Ausnahmezustand werden nicht alle Gruppen gleich mitgedacht: Arbeiter:innenkinder haben tendenziell weniger private finanzielle Absicherungsnetze und sind daher stärker von genannten finanziellen Problemen betroffen; Für Studierende mit Kind ist das Home-Office in Zeiten von Schulschließung ein schlechter Witz; Studierende mit Behinderungen sind in vielen Onlinelehrformaten nicht mitgedacht.1 Über Nachteilsausgleiche wurde bisher unzureichend bis gar nicht diskutiert.
Drittens: Das Home-Office bedeutet, dass das Studieren einsamer wird. Hinzu kommt, dass die Entgrenzung von Arbeitszeiten, die man im Studium sowieso schon hatte, eine neue Dimension erreicht, wenn die räumliche Trennung gänzlich wegfällt: Das Schlafzimmer ist das Esszimmer ist das Arbeitszimmer. Existenznot, Angst vor Ansteckung mit Corona und Angst um Familie und Freund:innen können hinzukommen. Dieser psychische Druck kann sehr belasten und den Alltag einschränken. Eine Studentin schrieb in einem Erfahrungsbericht für das online Cornarchiv, wie schwer ihr auch aufgrund ihres ADHS das selbstständige Organisieren und Arbeiten fiel und darüber, wie sie, auf die Ergebnisse ihrer Module wartend, weinend vor ihrem Laptop saß, weil sie nicht wusste, wie lang sie sich das Studium noch leisten kann. Beispiele wie dieses zeigen, dass psychischen Belastungen für viele Studierenden zunehmen, zeitgleich sinken aber die Hilfsangebote für eben jene Fälle. So ist die Versorgung für psychische Problemlagen derzeit häufig heruntergefahren oder zumindest unzugänglicher und hochschwelliger. Die psychologische Beratung des AStAs ist gerade beispielsweise meist nur per Mail zu erreichen.
Viertens: An dieser Stelle noch ein paar Worte über die inhaltliche Entwicklung des Studiums während der Pandemie: Wie gut sich das Studium inhaltlich gestalten lässt, hängt naturgemäß stark von Fakultät und Fachrichtung ab. Während für Chemiker:innen und Geolog:innen das größte Problem ist, nicht in die Labore zu kommen, fehlt es den Studierenden der Geistes- und Sozialwissenschaften an anderer Stelle. Für letztere stellt insbesondere die Bücherbeschaffung ein Problem dar, da Recherchemöglichkeiten in sonst zugänglichen Institutionen wie dem Hamburger Institut für Sozialforschung wegfallen. Zwar haben die meisten (Uni-)Bibliotheken noch bzw. wieder mit Beschränkungen geöffnet, aber wer möchte schon ohne sonstigen Grund an den (schon vor der Pandemie) trostlosen Überseering fahren? Und so kauft man sich, von den letzten paar Kröten, dann halt doch noch diesen einen superwichtigen Sammelband für die Hausarbeit. Darüber hinaus reduziert die Lehre im Ausnahmezustand das Studieren zurzeit auf seinen Kern; ein Super Mario-„Jump ’n‘ Run“-Spiel, bei dem es im Grunde nur darum geht anderen Leuten auf den Kopf zu springen und möglichst viele Punkte zu sammeln; eine Dienstleistungsmaschine, die möglichst schnell möglichst viele gut angepasste Arbeitskräfte auf den Markt spuckt. Das bemerkt man in den Lehrveranstaltungen: Die meisten Seminare (zumindest in den Geisteswissenschaften) waren vergangenes Semester in Teilen asynchron organisiert. Es mussten wöchentlich „Hausaufgaben“ erledigt werden. Freies und eigenständiges Arbeiten und Recherchieren hatte in dieser Organisationsform wenig Platz. Auch die kritischen Diskussionen mit Kommiliton:innen fehlte. Weiterführende Literatur zu lesen oder interessengeleitet Themen zu vertiefen, dazu blieb unter diesen Umständen kaum noch Zeit. Wenige Ausnahmen von Dozierenden, die sich aktiv darüber Gedanken gemacht haben, wie ein niedrigschwelliger Austausch unter erschwerten Bedingungen stattfinden kann, gab es selbstredend auch.
Da die Studierendenschaft sehr heterogen zusammengesetzt ist, blieben hier viele Erfahrungen sicherlich außen vor. Auch die tragische Absurdität, welche die Corona-bedingten, beschissenen studentischen Lebenssituationen zeitweise annahmen, lässt sich kaum erfassen: Meine Mitbewohnerin zahlte zum Beispiel im Sommer während ihres Erasmus-Semesters doppelt Miete, weil sie übereilt nach Deutschland zurückkehren musste. Anschließend überlegte sie, um persönliche Gegenstände zurückzuholen, mit dem Kreuzfahrtschiff nach Oslo zu fahren, weil alle anderen Wege gesperrt waren.
Trotz allem scheint das Studieren derzeit im Vergleich zum Arbeitsmarkt attraktiver denn je. (Oder ist das gewünschte Gap Year in Australien schlicht nicht umsetzbar?) Die Bewerbungen für das Wintersemester 2020 sind im Vergleich zum letzten Jahr explodiert. Mit 31.285 Bewerbungen auf rund 5.780 Bachelor-Studienplätze wollten fast 6 % mehr Leute in Hamburg studieren als im Vorjahr. Man kann nur hoffen, dass unter den neuen Erstsemestler:innen ein paar Riot-bereite Leute sind. Denn solange wir uns als Studierende nicht organisieren und rumstressen, wird es nicht besser.
Fußnoten
[1] Ausführlich hat Andrea vom teilautonomen AStA-Referat für behinderte und chronisch kranke Studierende (RBCS) die Lage der Studierenden mit Behinderung in einem Beitrag für die Programmzeitschrift des Radiosenders FSK besprochen. Vgl. https://www.fsk-hh.org/files/tm080920.pdf S. 7 ff.
Infoblock AStA-Beratungen
Falls ihr von den Gemeinheiten des Bafög-Amtes betroffen seid, ihr Informationen zum Wohngeldantrag braucht oder euch andere Probleme Kopfzerbrechen bereiten, sei nochmal auf die verschiedenen Angebote verwiesen, die es seitens des AStAs gibt:
Beratungen
- Studien-, Rechts- und Sozialberatung
- BAföG-Beratung
- Beratung zu studentischen Steuerfragen
- Arbeitsrechtsberatung
- Psychologische Beratung von Studierenden für Studierende
- Studieren mit Kind
- Beratung des Referates für behinderte und chronisch kranke Studierende (RBCS)
- Beratung für internationale Studierende
- Beratungen des Alle Frauen* Referates
- Beratung zum Semesterticket Härtefallfonds
Erreichbarkeit und Mailadressen finden sich auf der Homepage: www.asta.uni-hamburg.de/2-beratungsangebot.html